Italiens neue Regierung lässt Flüchtlinge der »Ocean Viking« an Land gehen

Deutschland nimmt einen Teil der 82 Menschen an Bord des Rettungsschiffs auf.

  • Charles Onias
  • Lesedauer: 4 Min.

Rom. In Italien zeichnet sich nach dem Regierungswechsel eine neue Flüchtlingspolitik ab: Die Behörden in Rom haben den Migranten an Bord des Rettungsschiffs »Ocean Viking« am Samstag nach tagelangem Warten erlaubt, im Hafen von Lampedusa an Land zu gehen. Die 82 Flüchtlinge sollen nach französischen Angaben nun auf fünf europäische Länder, unter ihnen Deutschland, verteilt werden.

Die »Ocean Viking« habe von der Seenotrettungsleitstelle in Rom die Erlaubnis erhalten, mit den 82 Migranten an Bord die Insel Lampedusa anzusteuern, teilte SOS Méditerranée am Samstag im Online-Dienst Twitter mit. Die NGO betreibt das Schiff zusammen mit der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen. Es war das erste Mal seit 14 Monaten, dass Italien einem Flüchtlingsrettungsschiff einen sicheren Hafen zugewiesen hat.

Veranstaltungen zur Seenotrettung

Veranstaltungen im Rahmen der Ausstellung "Kein Land in Sicht für die Seenotrettung": 

26. September 2019 Film mit Gespräch: "Frühlingskinder" - Mit Demet Altan (Lehrerin und Filmemacherin) und Aktivist*innen aus einer Leipziger Seebrücke-Gruppe, Moderation: Johanna Treblin (Journalistin Neues Deutschland)Moderation: Johanna Treblin ( "interim by linxxnet", Demmeringstraße 32, 04177 Leipzig, 19:00 Uhr)

8. Oktober 2019 Podiumsgespräch: "Seenotrettung – was kommt danach? Über Verteilmechanismen der EU"Diskussion - Mit Clara Anne Bünger (Equal Rights Beyond Borders), Aktivist*innen der MISSION LIFELINE; Moderation: Sebastian Baehr ("interim by linxxnet", Demmeringstraße 32, 04177 Leipzig, 19:00 Uhr)

Lesen Sie auch: Kurs auf sicheren Hafen. Berlin will mittels Gesetzesänderung aus Seenot gerettete Flüchtlinge aufnehmen können.

Am Samstagabend wurden die Migranten nahe dem Hafen von Lampedusa zunächst auf ein Schiff der Küstenwache und anschließend an Land gebracht. Nach Angaben des französischen Innenministeriums sollen die 82 Migranten nun auf fünf europäische Länder verteilt werden.

Neben Frankreich erklärten sich demnach auch Deutschland, Italien, Portugal und Luxemburg zur Aufnahme der Flüchtlinge bereit. Deutschland und Frankreich wollen demnach zusammen die Hälfte der Migranten der »Ocean Viking« einreisen lassen, während Italien jeden zehnten Flüchtling an Bord des Schiffes aufnehmen will.

SOS Méditerranée reagierte erleichtert. »Die Zuweisung eines sicheren Ortes, der sich auch als solcher qualifiziert, ist eine gute Nachricht«, erklärte der Einsatzkoordinator an Bord der »Ocean Viking«, Nicola Stalla. »Aber mehrere Tage oder gar Wochen warten zu müssen, tolerieren wir nicht.« Die Hilfsorganisation forderte die EU auf, einen »koordinierten, gemeinsamen und nachhaltigen Ausschiffungsmechanismus« für im Mittelmeer gerettete Migranten zu schaffen.

Die »Ocean Viking« hatte seit knapp einer Woche einen sicheren Hafen gesucht, um die vor der libyschen Küste geretteten Menschen an Land zu bringen. Das Rettungsschiff war Anfang September zu ihrem zweiten Einsatz im Mittelmeer aufgebrochen.

Am 8. September nahm sie 50 Migranten auf. Kurze Zeit später gingen 34 weitere Menschen an Bord, die von dem Segelboot »Josefa« gerettet worden waren. Eine Schwangere und ihr Mann wurden zwischenzeitlich per Helikopter von der »Ocean Viking« an Land gebracht. Im August hatte die Besatzung bereits 356 Migranten vor der libyschen Küste aus dem Mittelmeer gerettet, die später in Malta an Land gehen durften.

Die Erlaubnis für die »Ocean Viking«, den Hafen von Lampedusa anzusteuern, markiert eine Abkehr von der restriktiven Flüchtlingspolitik der kürzlich gescheiterten Regierungskoalition aus populistischer Fünf-Sterne-Bewegung und rechtsradikaler Lega. Italiens Ex-Innenminister Matteo Salvini, der Rettungsschiffen die Einfahrt in italienische Häfen verboten hatte, verurteilte die Entscheidung. »Die neue Regierung öffnet wieder die Häfen, Italien wird wieder zum Flüchtlingslager Europas«, schrieb der rechtsradikale Politiker im Online-Dienst Twitter.

Auch interessant: Die Banalität des Guten. Pia Klemp hat über ihre Arbeit als Seenotretterin von Flüchtlingen einen Roman geschrieben.

Der italienische Kulturminister Dario Franceschini begrüßte hingegen das »Ende von Salvinis Propaganda auf dem Rücken der verzweifelten Menschen« an Bord der Rettungsschiffe. Italien setze nun wieder auf gute internationale Beziehungen, um die Flüchtlingskrise zu lösen.

Italiens neue Regierung will ein System zur automatischen Verteilung von im Mittelmeer geretteten Flüchtlingen auf andere EU-Staaten aushandeln. Am 23. September wollen mehrere EU-Innenminister bei einem Treffen in Malta darüber beraten, Anfang Oktober tagt dann der EU-Ministerrat in Luxemburg.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) erklärte am Wochenende, Deutschland sei bereit, jeden vierten nach einer Seenotrettung in Italien anlandenden Flüchtling aufzunehmen. »Ich habe immer gesagt, unsere Migrationspolitik ist auch human. Wir werden niemanden ertrinken lassen«, sagte Seehofer der »Süddeutschen Zeitung«. Es sei höchste Zeit, sich von dem »quälenden Prozedere« zu verabschieden, bei dem in den vergangenen Jahren bei jedem einlaufenden Rettungsschiff vor Italien Flüchtlinge einzeln über Europa verteilt werden mussten. AFP/nd

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -