Umziehen soll wieder möglich sein

Mieterverein besteht auf Deckel mit breiter Absenkung von Bestandsmieten

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

»Wir halten an der Absenkung von Bestandsmieten fest, denn wir sind der Auffassung, dass sie für viele Haushalte nicht mehr leistbar sind«, sagt Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, zu »nd«. Damit würden nicht nur in neu abgeschlossenen Mietverträgen die Obergrenzen von - je nach Baujahr - 5,95 bis 9,80 Euro nettokalt pro Quadratmeter gelten, sondern abgewandelt auch in laufenden Mietverträgen.

Das im Referentenentwurf skizzierte Modell, dass jene Haushalte eine Absenkung beantragen können, deren Mietbelastung die sogenannte Leistbarkeitsgrenze von 30 Prozent des Nettoeinkommens übersteigt, lehnt der Mieterverein allerdings ab. »Es ist politisches Einknicken, die Absenkung von Mieten nur in einem Detail einführen zu wollen«, so Wild. Ihm schwebt »der Klarheit wegen« eine einfache Regelung vor. Mietobergrenzenwert plus zehn Prozent, ähnlich wie bei der Mietpreisbremse des Bundes, aber ohne die zahllosen Ausnahmen, die sie fast wirkungslos werden lassen. Dies soll für alle Mieter gelten, unabhängig von Einkommen, Haushalts- oder Wohnungsgröße.

Dass eine Senkung des Mietniveaus in der Hauptstadt die Situation deutlich verbessern würde, zeigen die am Mittwoch veröffentlichten Daten des Internetprojekts Mietenwatch.de. Demnach würde mit einem Mietendeckel die durchschnittliche Angebotsmiete für bis 1918 fertiggestellte Altbauten von derzeit 14,81 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter auf die Mietobergrenze von 6,45 Euro fallen. Allerdings sind darin noch nicht die möglichen Modernisierungszuschläge enthalten, über die Rot-Rot-Grün, genauso wie über die Absenkungsmöglichkeit von Mieten, diskutiert. Nachdem Innensenator Andreas Geisel (SPD) am Dienstag noch kategorisch erklärte, dass Berlin für Mietreduzierungen die Gesetzgebungskompetenz fehle, erklärte er am Mittwochmorgen im inforadio, dass er Spielraum bei sogenannten Wuchermieten sehe. Hier sei ein Absenken vorstellbar.

Nach nd-Informationen gibt es vonseiten der Umwelt- und Klimaschutzverwaltung Bestrebungen, für energetische Sanierungen die Umlagemöglichkeiten auf Mieten weiter zu erhöhen. Reiner Wild hält das für »nicht zielführend«. Der Mieterverein werde demnächst ein Modell nach niederländischem Vorbild vorstellen, kündigt er an. Dort werden die einzelnen Maßnahmen unter Einbezug des ökonomischen Nutzens auch für die Mieter mit Punktwerten verknüpft, die dann in Mietpreisaufschläge umgerechnet werden.

Dass die Mietpreisbremse des Bundes nur marginale Effekte zeitigt, ergibt auch die aktuelle Auswertung von Mietenwatch.de. 92,4 Prozent der in den letzten 18 Monaten gesammelten rund 80 000 Wohnungsangebote überstiegen die Kappungsgrenze. »Die Daten zeigen eindeutig, was viele Berliner Mieter*innen bereits vermutet haben: Bisherige politische Maßnahmen haben entweder aufgrund der vielen Ausnahmen oder wegen Missachtung so gut wie keine Wirkung«, erklärt Olivia Blanke, Sprecherin des Projekts.

Der Mietendeckel würde den Zugang zu leistbarem Wohnraum auch für Durchschnittsverdiener drastisch verbessern. In den letzten 18 Monaten waren für eine allein lebende Person mit durchschnittlichem Einkommen in Alt-Mitte oder Friedrichshain nur ein Prozent der Wohnungsangebote erschwinglich. Mit Deckel laut Referentenentwurf würde allein dort der Anteil auf 47 oder gar 71 Prozent der Angebote hinaufschnellen. »Wir erwarten, dass mit dem Mietendeckel die Umzugsquote wieder steigen wird«, erklärt auch der Mietervereins-Geschäftsführer. Die Umzugsquote bei Berliner Mitgliedsunternehmen des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen hat sich von 2008 bis 2018 von 8,8 auf 5,3 Prozent jährlich reduziert. In Friedrichshain, Kreuzberg oder Schöneberg wechselten Mieter im vergangenen Jahr im Durchschnitt erst nach 25 Jahren die Wohnung.

»Das Projekt Mietenwatch verdeutlicht nicht nur die Dringlichkeit eines Mietendeckels, sondern auch die Einführung eines Wohnungskatasters, das die Mietpreise stadtweit sammelt und auswertet«, sagt Katrin Schmidberger, Mietenexpertin der Grünen im Abgeordnetenhaus. Die Daten würden im Rahmen der Absenkungsbegehren anfallen. In den laufenden Haushaltsberatungen wurden jeweils 100 000 Euro für die beiden nächsten Jahre für deren Aufbau eingestellt. »Damit können wir für Transparenz sorgen und innerhalb des öffentlichen Preisrechts angemessene Miethöhen festlegen, die zu hohen Mieten bereinigen und den pervertierten Wohnungsmarkt einfangen«, so Schmidberger weiter. »Die Katasterung ist Voraussetzung dafür, nach fünf Jahren gutes Datenmaterial zu haben«, pflichtet Gaby Gottwald von der Linksfraktion bei.

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