Am Ende alles gut?

Rassistische Kontinuitäten: In seinem neuen Krimi verhandelt Max Annas den Mord an einem Vertragsarbeiter

  • Eric Breitinger
  • Lesedauer: 5 Min.

In Ihrem neuen Roman »Morduntersuchungskommission« geht es um den Mord an Antonio Manuel Diogo, einem Vertragsarbeiter aus Mosambik, ein Fall, der auf realen Tatsachen basiert. Wie kamen Sie auf das Thema?

Es saß an meinem Küchentisch in Gestalt eines Freundes von Manuel Diogo. Er hatte den mosambikanischen Vertragsarbeiter im Juni 1986 zum Zug in Ost-Berlin gebracht, in dem er von Neonazis umgebracht wurde. Der Freund erzählte mir auch seine eigene Biografie als Vertragsarbeiter in der DDR. Ich habe den Fall allerdings zeitlich und räumlich verlegt, weil ich die Geschichte freier erzählen und über sie hinausweisen wollte. Und ich wollte kein »True Crime« schreiben. Übrigens hat in der DDR die Gewalt gegen Vertragsarbeiter bereits in den 70ern angefangen. Zum Beispiel jagten 1975 fürchterlich viele Leute eine Gruppe Algerier durch die Stadt Erfurt. Den Staat hat das wenig interessiert.

Zur Person

Mit »Die Farm«, »Die Mauer« und seiner Dystopie »Finsterwalde«, in dem er den Siegeszug von Rassisten und Faschisten in Deutschland imaginiert, gewann Max Annas dreimal den Deutschen Krimi-Preis.

Sein neuer Roman »Morduntersuchungskommission« spielt in der DDR im Jahr 1983: Ein junger Polizist ermittelt auf eigene Faust in einem Fall von rassistischer Gewalt, obwohl der Staat den Mord totschweigen will. Im Gespräch mit Eric Breitinger erklärt der 56-jährige Autor, was das mit dem NSU-Terror zu tun hat und was es mit DDR-Krimis auf sich hat.

In Ihrem Roman stellt die Staatsmacht die Ermittlungen in dem Fall ein, weil sie unliebsame Erkenntnisse fürchtet. Die DDR verhinderte tatsächlich, dass der Mord an Manuel Diogo an die Öffentlichkeit kam. Wie erklären Sie sich das?

Die DDR war ein autoritär und national aufgestellter Staat, der nicht akzeptieren wollte, dass seine Bürger nicht so funktionierten, wie das vorgesehen war. Dass jemand Angehörige eines sozialistischen Brudervolkes ermordet, konnte nicht sein. Und Nazis waren in der DDR nicht vorgesehen, daher also nicht darstellbar. Es konnte hier nicht geben, was es nicht geben durfte.

Im Roman ermittelt Oberleutnant Otto Castorp im Geheimen weiter. Wie realistisch ist es, dass ein loyaler Polizist sich seinen Befehlen widersetzte?

Castorp ist eine Figur meiner Imagination. Er musste einiges erfüllen: Er musste ein guter, aufrichtiger Polizist sein, er musste an die DDR glauben. Vater und Bruder sagen zudem, dass Otto schon immer ein wenig zu naiv gewesen ist. Im Buch ist entscheidend, dass er den Moment des Mitleidens mit einer gepeinigten Person erlebt. Das ist der Punkt, an dem sich ein Mensch ändern kann oder muss.

Sie zeichnen die DDR als Obrigkeits- und Schnüffelstaat. Ist das nicht zu einseitig?

Manche werden es so lesen, als gehe ich mit der DDR zu rabiat um. Aber mein Roman handelt auch von der gesamtdeutschen Geschichte. Keiner der beiden deutschen Staaten hat aus sich heraus existiert. Beide haben jeweils nach drüben geguckt und sich überlegt: Welche Innenpolitik müssen wir als Antwort auf das andere Land machen? Dazu waren beide eingebunden in starre Bündnisse.

Was sich die DDR-Polizei und ihr Geheimdienst in diesem Fall von Neonazigewalt leisten, das lässt sich auch auf den NSU übertragen. Mein Roman zeigt letztlich, dass der Staat, wenn er Menschen schon nicht gegen die Gewalt von rechts schützen kann, zumindest alles dafür geben müsste, dass seine Organe die Verbrechen aufklären. Das geschieht in der DDR nicht. Das geschieht aber auch in der BRD nicht - siehe das Bombenattentat aufs Oktoberfest 1980. Und das geschieht im neuen, größeren Deutschland nicht - siehe die NSU-Morde.

Wie gut kannten Sie die DDR?

Ich bin viel in die DDR gereist in den letzten Jahren ihrer Existenz. Als Westlinker fand ich es reizvoll, nachzugucken, wie es »drüben« ist. So habe ich den DDR-Alltag kennengelernt und Leute, die mir bis heute Freund und Freundin sind. Da wir uns vor allem mit unseresgleichen trafen, waren wir damals schon Teil eines frühen gesamtdeutschen linken Diskurses.

Warum befassen Sie sich dann erst jetzt literarisch mit der DDR?

Als ich um die Jahrtausendwende erstmals versuchte, Fiktion zu schreiben, habe ich mit DDR-Themen experimentiert. Damals arbeitete ich als freier Journalist und brachte im straffen Arbeitsalltag der Textproduktion nichts zuwege, das mir gefallen hätte. Ich ging dann nach Südafrika, wo ich über südafrikanischen Jazz forschte, und habe dort noch einmal von Neuem damit begonnen. Als ich dann im Jahr 2015 zurückkam, bot es sich an, das neue, größere Deutschland ins Auge zu fassen. Und vor zwei Jahren habe ich dem Verlag eine Reihe mit DDR-Krimis vorgeschlagen. Ich war erfreut, wie begeistert Rowohlt reagierte.

Wie kam das?

Der Verlag bewirbt mein Buch als »ersten große Kriminalroman aus der DDR«. Es stimmt ja auch, dass die Genreliteratur sich kaum mit der DDR befasst. Das kann damit zusammenhängen, dass sich die Westerzählung Kriminalroman nicht eins zu eins in der DDR etablieren konnte und es so keine Tradition gibt. Mir war von Anfang an klar: Wenn ich über die DDR schreibe, wende ich ein ästhetisches Modell des Westens auf den Osten an - den klassischen Kriminalroman mit seinem Versprechen, am Ende alles wiedergutzumachen. Ich stand vor dem Problem, beides, das Genre und die DDR-Geschichte ernst zu nehmen. Ich musste also am Schluss des Romans einen Weg finden, beides ineinanderfließen zu lassen.

Was versprechen Sie sich von einer ganzen Reihe von DDR-Krimis?

Sie bietet die Möglichkeit, unsere Wahrnehmung der deutschen Gegenwart und Geschichte zu verschieben. Zum Beispiel das Bild, dass der Aufstieg rechter Positionen mit dem Ende der DDR und mit der Vernachlässigung und Verwüstung zu tun hat, die der Westen dort verursacht hat. Das hielt ich stets für Unsinn. Rechte, auch radikale Positionen waren in beiden Staaten immer präsent. Die Romane sind auch ein Mittel, darauf hinzuweisen, dass wir noch viel zu tun haben, um die Geschichte vor der sogenannten Wiedervereinigung und danach zu verstehen. Ein Motiv in der Reihe soll sein, deutsche Geschichte neu zu betrachten und neue Bilder anzubieten.

Ihre bisherigen Kriminalromane leben stark von Action. Wieso erzählen Sie diesmal in einem viel gemächlicheren Tempo?

Ich wollte die Polizei und ihren Ermittlungsalltag darstellen. Zudem wollte ich den fünf Figuren der Morduntersuchungskommission Raum geben, weil sie in ihrer Unterschiedlichkeit auch einzelne gesellschaftliche Aspekte der DDR repräsentieren. Daher musste ich mich auf eine ganz andere sprachliche Taktung einlassen.

Wie geht es mit Otto Castorp weiter?

Das nächste Buch hat der Verlag gerade erhalten. Es spielt in Jena 1985, also zwei Jahre später, und es geht um Abweichung und Verrat. Ich habe der Castorp-Perspektive noch weitere hinzugefügt, die nicht zur Polizei gehören.

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