- Kultur
- Wolffs Müllabfuhr
Versuch, einen »Watson«-Text zu verstehen - autsch!
Tim Wolff über das ebenso verblödete wie verblödende Boulevardnachrichten-Onlineportal »Watson«
Wenig kann einem die unendliche Kälte des Universums, die fundamentale Sinnlosigkeit alles Seins vor Auge führen wie Textberichterstattung übers Fernsehen. Welch Elend es darstellt, einen Beruf auszuüben, bei dem man sich immer wieder miserable Spielfilme unter dem Rubrum »Tatort« oder Quasselveranstaltungen zum Zwecke der Normalisierung rechtsextremer Themen namens »Talkshow« ansehen, sie nacherzählen und einordnen muss, merkt man jedem Text dieser Art an, der je auf »Spiegel online«, »Faz.net« usf. erschien.
Doch ist das nichts gegen das, was täglich in der buzzfeedisierten Sektion des Onlinejournalismus passiert. Etwa bei »Watson.de« (Slogan: »News ohne Bla Bla«) an einem beliebigen, z.B. dem vergangenen Sonntag: »Uli Hoeneß ruft im ›Doppelpass‹ an und beschwert sich: ‘Überhaupt keine Ahnung‹«, »Ina Müller macht Campino runter - Gregor Gysi rettet Situation großartig« (meistgelesen!) oder »›Heute-Show‹: Oliver Welke lacht AKK für ihr Englisch aus - Publikum johlt«.
Wen die letzte Schlagzeile nicht schon gruselt, weil ihn die Kombination aus deutschem Publikum und Johlen grundsätzlich schreckt, dem gibt die Meldung (mmh, kann man so etwas wirklich Meldung nennen?) den Rest: »Wie steht die deutsche Regierung eigentlich in der Welt da, fragte sich Oli Welke.« Der Mann hat Sorgen! »Sein Fazit: Die Regierung sei ein Totalausfall. Die ›New York Times‹ sähe sie als Zombie-Regierung, ›unfähig zu handeln und nicht bereit zu sterben‹ - autsch.« Gedankenstrich, autsch - autsch.
»Ob die Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer da helfen kann? Welke war sich da nicht sicher. Und das, OBWOHL sich AKK sehr international gibt.« Die kokette Frage, das freche »da«, das versale OBWOHL - hier wird effizient die Bumsironie des Volkssatirikers Welke in drei einfache Sätze übertragen. Doch was hat er in seiner Sendung überhaupt getan? »Die ›Heute-Show‹ zeigte das Video, in dem sich die CDU-Chefin auf Englisch mächtig verhaspelte.« Ja, fuck, einfach so? Bewegtbilder mit Tonspur? Auf denen sich AKK ungeschickt ausdrückte? »›Tschuldigung, kann ich das noch einmal haben, bitte?‹ Oliver Welke versteht kein Wort. .. AKK im Wortlaut: ›Wie Obama gesagt hat: ›Don’t mirr the problem?‹‹ Äh, wie bitte? Verständlich, dass Welke die vier Wörter der Verteidigungsministerin nochmal hören wollte. Es ist ein einziges Gemurmel.«
Es ist schon ein Mist, wenn Leute sich nicht ausdrücken können: etwa »Watson«-Schreibkräfte bei der Wiedergabe einer »Heute-Show«-Nummer. Denn selbst wenn man glaubt, in der »Heute Show« gäbe es tatsächlich etwas zu lachen, erschließt sich nach der bisherigen Schilderung kaum, wie es zu so etwas wie Johlen kommen konnte. Vielleicht nach den nächsten Zeilen? »Oliver Welke konnte sich die Reaktion der Obama-Mitarbeiter gut vorstellen: ›Hä?‹.« Ja, hihi, so sind sie, die Obama-Mitarbeiter. »Aber was hat sie wirklich auf Englisch gesagt? Dem ›Heute-Show‹-Moderator zufolge: ›Don’t tell me the problem‹ (zu dt.: ›Erzähl’ mir nicht das Problem‹). Aha, also sogar ein Wort mehr gedacht. Für Oliver Welke ist ganz klar: Das war Tschechisch.«
Welke scheint der einzige in dem Ganzen zu sein, dem etwas klar ist. Denn warum »tell me« zu »mirr« zu machen Tschechisch sein soll (und wieso das witzig sein könnte), das müsste zumindest mir mal jemand erklären, der nicht für »Watson« schreibt. Aber immerhin: »Welke trifft damit genau den Humor seiner Zuschauer. Immer wieder sind Lacher im Publikum zu hören, am Ende johlt eine Frau und scheint sich kurzzeitig nicht mehr im Griff zu haben, bis Welke sie zur Räson ruft.«
In einer Welt leben zu müssen, in der Menschen, die so etwas produzieren, Geld erhalten, während andere, die gar nicht arbeiten, und also wenigstens so etwas nicht machen, sanktioniert und der Würde beraubt werden - superautsch.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!