BGH zu einer 240-Euro-Mieterhöhung
Urteil zu Modernisierung - Fragen & Antworten
Ein Berliner Hartz-IV-Empfänger soll nach einer Modernisierung seines Wohnhauses 240 Euro mehr Miete zahlen. Ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 9. Oktober 2019 (Az. VIII ZR 21/19) lässt ihn noch nicht aufatmen. Eine zentrale Frage ist aber in seinem Sinne geklärt. Das freut Mieterschützer auch für andere Betroffene.
Um was genau geht es?
Die Vermieterin hat das Mehrfamilienhaus aus dem Jahr 1929 auf Vordermann bringen lassen. Fassade und oberste Geschossdecke wurden gedämmt, die Balkone auf etwa fünf Quadratmeter vergrößert. Ein stillgelegter Fahrstuhl ist nun wieder in Betrieb. Die Kosten sollen auch die Bewohner über deutlich höhere Mieten tragen. Für den Hartz-IV-Bezieher ist das kaum zu leisten: Seine Miete lag zuletzt schon bei rund 575 Euro, plus 90 Euro Heizkostenvorschuss. Vom Amt bekommt der Mann fürs Wohnen gut 460 Euro im Monat.
Dürfen Vermieter so drastisch die Miete erhöhen?
Tatsächlich dürfen Modernisierungskosten bis zu einer gewissen Grenze an die Mieter weitergegeben werden. Bis Jahresanfang konnten Vermieter die Jahresmiete um elf Prozent der anteiligen Kosten erhöhen, seither sind es noch acht Prozent. Neu ist die sogenannte Kappungsgrenze: Wegen Modernisierungen darf die Miete binnen sechs Jahren um höchstens drei Euro je Quadratmeter steigen, bei niedrigeren Mieten (weniger als sieben Euro pro Quadratmeter) um maximal zwei Euro. Für den Fall gilt noch die alte Rechtslage.
Wie kann man sich wehren?
Modernisierung müssen Mieter in aller Regel hinnehmen. Sie haben aber ein Sonderkündigungsrecht. Entsteht viel Lärm und Dreck, können sie unter Umständen zeitweise die Miete mindern. Menschen, die sich ihre Wohnung ohnehin kaum leisten können, schützt das Gesetz zudem ausdrücklich vor der drohenden Mieterhöhung: Sie soll immer dann ausgeschlossen sein, wenn sie »eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist«. Betroffene müssen diesen Härteeinwand gleich nach Ankündigung der Modernisierung geltend machen. Ob er berechtigt ist, wird erst später geprüft, wenn die Miete tatsächlich steigen soll.
Was hat der BGH in dem Berliner Fall entschieden?
240 Euro mehr Miete sind für den Hartz-IV-Empfänger eine finanzielle Härte - unabhängig davon, dass er allein auf knapp 86 Quadratmetern lebt. Die Vermieterin hatte aufs Sozialrecht verwiesen, dort gelten für eine Person gut 50 Quadratmeter als angemessen.
Aber das ist für den BGH kein Argument: Hier gehe es um die Frage, ob ein Mieter seinen bisherigen Lebensmittelpunkt beibehalten darf, nicht darum, dass sich jemand auf Kosten der Allgemeinheit eine zu große Wohnung leistet. Dabei komme es auf alle Umstände des Einzelfalls an. Der Mann war 1962 als Fünfjähriger mit seinen Eltern in die Wohnung gezogen. Damit fällt die Abwägung klar zu seinen Gunsten aus.
Was bedeutet das Urteil für andere Mieter?
Der Deutsche Mieterbund sieht ihre Position gestärkt. Gerade Großvermieter argumentierten oft nach dem Motto: »Zieh doch in eine kleinere Wohnung - dann ist sie für dich auch wieder bezahlbar.« »Das zieht so nicht mehr«, sagt Geschäftsführer Ulrich Ropertz.
Allerdings bleibe weiter unklar, wann Mieter sich überhaupt auf eine finanzielle Härte berufen können. Wie viel Geld ihnen nach der Modernisierung zum Leben bleiben muss, sei bisher höchstrichterlich nicht entschieden. Auch nach der Reform sind Mietsteigerungen von 20 bis 40 Prozent laut Ropertz möglich.
Wie geht es für den Hartz-IV-Empfänger weiter?
Das Berliner Landgericht, das die Mieterhöhung von 240 auf 4,16 Euro zusammengestrichen hatte, muss seinen Fall noch einmal prüfen. Die Härtefall-Regelung greift nämlich ausnahmsweise nicht, wenn der Vermieter das Haus nur in einen »allgemein üblichen« Zustand gebracht hat oder zur Modernisierung gezwungen war. Der BGH moniert, dass dies nicht korrekt geprüft wurde. Deshalb muss das nun nachgeholt werden. dpa/nd
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