Reaktionärin

Die bolivianische Übergangspräsidentin Jeanine Áñez will die Zeit am liebsten zurückdrehen

»Wir bringen die Bibel zurück in den Palast.« Offen formulierte die selbsternannte bolivianische Übergangspräsidentin Jeanine Áñez ihren Anspruch bei ihrem Einzug in den traditionellen Regierungssitz. Schluss mit der indigenen Hegemonie, die sich nach dem Amtsantritt von Evo Morales ab 2006 in Bolivien zu entwickeln begann. Der erste indigene Präsident Boliviens trug häufig traditionelle Kleidung. Statt auf Jesus berief er sich auf Pachamama, die Mutter Erde, und die Bibel verbannte er aus dem Regierungssitz des laut Verfassung laizistischen Staates.

Über 500 Jahre wurde Bolivien von Nachkommen der Conquistadoren regiert, keiner der Präsidenten nach der Unabhängigkeit 1825 hielt es vor Morales für nötig, sich auf die indigenen Traditionen des Landes zu berufen, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung Indígenas sind. Áñez steht in der Tradition von Morales’ Vorgängern: »Ich träume von einem Bolivien, frei von satanistischen, indigenen Praktiken, die Stadt ist nicht für die Indios - sollen sie sich auf den Altiplano oder in den Chaco verziehen!« Das Zitat ist nicht aktuell, es stammt von ihrem Twitter-Account.

Die 52-jährige Áñez ist von Haus aus Anwältin und stand jahrelang als Direktorin einem lokalen Fernsehsender vor, bevor es sie in die Politik zog. Sie stammt aus Beni, einer Provinz im Tiefland Boliviens, die sich traditionell in Opposition zum Hochland sieht. Im Tiefland leben vor allem Nachfahren europäischer Einwanderer, die Kultur ist christlich geprägt. Im Hochland sind die Indigenen in der Mehrheit.

Die Politikerin der rechtskonservativen »Christlich Demokratischen Partei« - einer Schwesterpartei der CDU - war Mitglied der Verfassunggebenden Versammlung, die in die Verfassung von 2009 mündete, in der Bolivien als plurinationaler Staat festgeschrieben wurde und die den Indigenen Autonomierechte einräumte. 2010 wurde Áñez in den Senat gewählt. Sie will nun die Zeit am liebsten zurückdrehen. Dabei wird sie aus guten Gründen weiter auf indigenen Widerstand stoßen. Martin Ling

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