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Bannerträger der Meinungsfreiheit

Streit um ein Solidaritätstransparent an der »Friedel 54« erreichte das Berliner Landgericht

  • Bosse Kröger
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Mittwochmorgen war das Haus Friedelstraße 54 im Bezirk Neukölln wieder einmal Thema vor einem Berliner Gericht. Dieses Mal jedoch nicht wegen der Räumung des früher dort ansässigen Kiezladens »Friedel 54«. Ein Transparent mit der Aufschrift »Wir bleiben alle«, das am Balkon des Hauses hängt und die Solidarität mit dem Kiezladen sowie mit anderen bedrohten Projekten in der Stadt ausdrückt, hatte die Vermieter verstimmt.

Klaus Strohwig lebt mit seinen drei Kindern in der Wohnung, zu der der Balkon gehört. Für das Transparent hatte er vom Vermieter eine Abmahnung erhalten. Laut Auffassung mindere das gut sichtbar angebrachte Banner den Wert des Hauses. Strohwig reichte gegen die Abmahnung Klage ein, die bereits mehrere Instanzen durchlaufen hat und aktuell beim Landgericht Berlin liegt.

Auf der Gegenseite des Konflikts steht keine Unbekannte. Die Immobilienfirma Pinehill s.a.r.l. mit Postanschrift in Luxemburg, deren Firmensitz bereits in den Panama Papers thematisiert wurde, hatte das Haus im Jahre 2016 mitten im Konflikt um den Kiezladen gekauft und es damit den als Hausverein organisierten Mieter*innen, die ebenfalls ein Kaufangebot gemacht hatten, vor der Nase weggeschnappt.

Der Gerichtssaal ist gut gefüllt, denn im Internet hatten »Freunde des Kiezladens Friedel 54« und Nachbar*innen des Klägers zur solidarischen Prozessbegleitung aufgerufen. Von denen hatten viele nach ähnlichen Abmahnungen ihre Solidaritätsbekundungen von der Hauswand entfernt. Vor dem Gebäude verteilen einige Demonstrant*innen zudem Flyer und halten ein Transparent der »Interkiezionale« hoch, eines Zusammenschlusses von Projekten, die akut von Räumung bedroht sind: »Liebig, Potse/Drugstore, Syndikat, Rigaer: One struggle - one fight« (Ein Ringen - ein Kampf).

Das Gericht bemühte sich in diesem angespannten Konflikt am Tag des Prozesses merklich um Deeskalation. So sei es das übergeordnete Interesse, den Hausfrieden wiederherzustellen und eine dauerhafte Lösung zu finden. Schwierig gestaltete sich die Urteilsfindung, da es kaum Präzedenzfälle gibt, in denen die Meinungsfreiheit von Mieter*innen gegen das Verwertungsinteresse von Hausbesitzer*innen abgewogen wird. Generell müsse in solchen Fällen immer der Einzelfall in Betracht gezogen werden. Dabei ist das Transparent an der Friedelstraße 54 bei Weitem nicht das einzige politische Transparent im Kiez, das sich gegen Verdrängung und Umstrukturierung richtet, und auch die häufig an Balkonen angebrachten Deutschland- oder Regenbogenfahnen stellen eine Meinungsäußerung dar. Der Unterschied liege aber darin, dass sich in diesem Fall ein direkter Bezug zwischen Transparent und Vermieter des Hauses herstellen lasse, so das Gericht.

Nach mehrstündiger Verhandlung stimmten die beiden Konfliktparteien dem Versuch eines außergerichtlichen Einigungsprozesses zu, nachdem die Seite des Hauseigentümers, vertreten durch den Rechtsanwalt Heiko Waskow, signalisiert hatte, ein Transparent mit anderem Inhalt möglicherweise akzeptieren zu können. Waskow zeigte sich mit dem Ausgang des Prozesses entsprechend zufrieden. »Reden ist immer gut«, kommentiert der Anwalt die vom Gericht angestrebte außergerichtliche Einigung. Für ihn kommt nur ein Transparent infrage, das keinen direkten Bezug zum Vermieter aufweist. Am liebsten wäre ihm »etwas Neutrales, das zur Deeskalation beiträgt«. Wie eine politische Meinungsäußerung neutral sein kann, bleibt allerdings zunächst offen.

Der Rechtsanwalt des Klägers, Lukas Theune, kündigte an, mehrere Vorschläge unterbreiten zu wollen. Für ihn und seinen Mandanten stellt der Ausgang des Prozesses zumindest einen kleinen Sieg da. »Noch vor drei Jahren wäre unsere Klage innerhalb von drei Minuten abgewiesen worden«, war Strohwig überzeugt. Theune führt das von beiden wahrgenommene Umdenken in den Gerichten auf die anhaltenden Mieter*innen-Proteste in Berlin zurück, die sich vor allem gegen die Verdrängung durch sogenannte Briefkastenfirmen, wie etwa die Pinehill s.a.r.l., zur Wehr setzen.

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Dennoch bleibt die Freude verhalten. »Solch ein Genehmigungsverfahren hat schon etwas von Zensur«, erklärt der Mieter. Viel mehr möchte er dazu jedoch nicht offen sagen, denn ein »zerstörtes Vertrauensverhältnis« zwischen Mieter und Vermieter sei ein Kündigungsgrund. Auch sein Nachbar Wolfgang Schmidt, der seit 20 Jahren in der Friedelstraße lebt, reagiert eher verhalten auf den Ausgang des Prozesses. Seit dem Eigentümer*innen-Wechsel habe er eine Mieterhöhung von über 80 Euro erhalten. »Vor allem die neuen Mieter zahlen kräftig«, so der Rentner. Inwieweit das Transparent an der Fassade also den Wert der Immobilie mindere, ist für den Bewohner nicht zu erkennen. Für ihn ist der Schaden bereits angerichtet. Mit dem Kiezladen »Friedel 54« sei den Bewohner*innen auch das »Wohnzimmer« geräumt worden.

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