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Wer anständig bleiben will, wird sofort gedisst

In Selim Özdogans Kriminalroman dominiert die wütende Energie der Rapmusik

  • André Dahlmeyer
  • Lesedauer: 5 Min.

Der Kölner Schriftsteller Selim Özdoğan ist einer der umtriebigsten Schlachtschreiber unter dieser verkrüppelten Sonne. Als er 1995 bei Rütten & Loening mit seinem Roman »Es ist so einsam im Sattel, seit das Pferd tot ist« debütierte, schlug das Buch ein wie eine Mörsergranate. Seinerzeit war es schwer in Mode, dass junge Menschen meinten, mit 25 Jahren ihre Autobiografie vorlegen zu müssen, an der zudem meist nichts als das falsche Fernsehprogramm schuld war. Selim Özdoğan war damals 24, aber mit solchen Luschen hatte er nichts am Hut. Rein gar nichts.

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Selim Özdogan: Der die Träume hört. Edition Nautilus, 288 S., br., 18 €.

Mittlerweile nähert sich sein Werk der guten alten Unübersichtlichkeit an. Wahrscheinlich ist auch er eines dieser Genies, die zwischen Bolzplatz und Bolzplatz mal so eben einen Kultroman hinrotzen. Özdoğan hat mal wieder das Genre gewechselt. »Der die Träume hört« ist sein Krimidebüt.

Nun, das Leben ist ein Krimi, und manche sagen gar, Kriminalität sei eine Droge. Tatsächlich geht es in diesem Kriminalroman um virtuelle Drogenumschlagplätze, um Plattformen im Internet, von denen böses Unheil droht, für die, die zu schwach sind und in die Falle tappen.

Nizar Benali, unehelicher Sohn einer Tunesierin, ist bei einer türkischen Ziehmutter in Westmarkt aufgewachsen, einem fiktiven Kiez, irgendwo im Ruhrpott. Eine dieser Gegenden, wo jeder so schnell wie möglich weg will, egal wie. Drogenhandel und Schutzgelderpressung sind an der Tagesordnung, und als »Kanake« oder »Schwarzkopf« wird man von den »Weißbrotbonzen« nicht eben über alle Maßen respektiert.

Ein unwirtliches Milieu. Wer anständig bleiben will, wird sofort gedisst. Aber Nizar, keine Ausbildung und Jugendknast im Lebenslauf, kleinkriminell wie alle, hat es zunächst geschafft: Er ist da raus. Hurtiger Paketzusteller, überdotierter Personal Trainer, genervter Kioskbetreiber. Ihm ist jede Arbeit recht. Aktuell verdingt er sich als Onlinedetektiv. Das passt so ein bisschen zu seiner Persönlichkeit - bloß nicht übertreiben, die, die in ihrer Arbeit aufgehen, sind die Deutschen. Allerdings sind das in diesen Milieus alles Dealer und Zuhälter.

Benali hat sich spezialisiert auf Internetverbrechen - Cybermobbing, Erpressung oder Handel im Darknet. Ein reicher Schickimicki engagiert ihn, weil sein gerade volljährig gewordener Sohn an einer Überdosis der Designer-Droge Mephedron gestorben ist. Benali handelt 17 Riesen aus und macht sich auf die Suche nach dem Mörder. Er kennt sich auf den virtuellen Marktplätzen bestens aus - er war selber Konsument; er braucht nicht mal seine Uhr aufzuziehen, und schon weiß er, wer’s war: Toni_meow, ein Dealer aus Deutschland. Jetzt muss er den nur noch in der realen Welt dingsfest machen. Es kompliziert sich.

Hinzu kommt, dass Benali von heute auf morgen einen 17-jährigen Erben hat, bei einem One-Night-Stand gezeugt. Er heißt Lesane, benannt nach dem bürgerlichen Namen des erschossenen Rappers Tupac Shakur. In der Folge wird dieser zum Co-Ermittler in Özdoğans coolem Streifen. Hinderlich ist ein bisschen, dass der Nike-Jünger selbst dealt und gerade einen 20 000-Euro-Kredit für Gras beim Big Daddy der Stadt verzockt hat. Nun muss Nizar richtig an die Front, sein eigen Blut verteidigen. Er tut’s. Die Abgründe der Vergangenheit sind für ihn keine Alternative. Doch genau damit wird er konfrontiert werden.

»Der die Träume hört« ist ein Krimi ohne Action. Özdoğan zieht die leisen Töne vor. Die Sprache ist knapp, die Dialoge schnell, er hat ein feines Ohr für gesprochene Sprache. Ist Nizar Benali der Kemal Kayankaya der Jetztzeit? Mitnichten. Das Genre des Kriminalromans dient dem Autor lediglich als Deckmantel für das, was er eigentlich sagen will. Es geht um Herkunft, Zukunft, Perspektivlosigkeit, Heimat, Familie. Er thematisiert die Zerrissenheit und Wurzelbehinderung der Migration, die deutsch-türkische Geschichte des Aneinander-Vorbeilebens, setzt sich auseinander mit dem Schmerz und dem Nichtankommen.

Während die Insassen von Westmarkt energiegeladen sind - auch wenn es sich überwiegend um kriminelle Energie handelt - , um sich von der Lähmung der Enge selbst zu befreien, ist Nizar, der bereits draußen ist, antriebslos und ohne jeden Ehrgeiz. Entscheidungen zu treffen, ist ihm ein Gräuel. Er sehnt sich nach Stille, Einsicht, Frieden und Harmonie, nach spirituellem Halt eben. Im Grunde ist das das Zentralmotiv des Buches: woran man sein Leben ausrichten und orientieren kann.

Und machen wir uns nichts vor: Eigentlich kredenzt uns Selim Özdoğan hier einen lieblichen Hip-Hop-Roman. Im Vordergrund steht die Vater-Sohn-Beziehung und wie sie sich entwickelt: zwei gefallene Engel auf der Suche nach Nähe und Heimat. Was sie verbindet, ist nicht Familie oder Kultur, sondern die Erfahrung - sie stammen beide aus Westmarkt. Und da hört man Rap. Den benutzt der Autor dann auch als Klebstoff, damit sich ein 40-Jähriger und ein 17-Jähriger, die sich fremd sind, etwas zu erzählen haben. Den zahlreichen Rückblenden im Buch steht jeweils eine Jahreszahl voran, der ein Hip-Hop-Album zugeordnet wird. So schreibt sich Soundtrack. Die Beats der Songs markieren Rhythmus und Erzähltempo.

Nebenbei gelingt Özdoğan dann noch ein wahres Kunststück: Keine einzige seiner Figuren ist a priori sympathisch. Nichts wird beschönigt, ihre Schwächen und Fehler werden auf dem Silbertablett präsentiert. Es sind die offenen Adern Westmarkts.

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