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- Jüdischer Friedhof
Facetten der Erinnerung
In Spandau wurde eine neue Gedenktafel für den ehemaligen jüdischen Friedhof aufgestellt
In Berlin-Spandau gibt es einen neuen Ort der Erinnerung. Ende November wurde in der Neuen Bergstraße 6A im Ortsteil Hakenfelde eine Gedenktafel für den jüdischen Friedhof aufgestellt, der sich dort bis 1940 befand. Gemeinsam mit dem Evangelischen Kirchenkreis und der Jugendgeschichtswerkstatt Spandau hat sich Bezirksbürgermeister Helmut Kleebank (SPD) lange für ein Gedenken an den Friedhof und seine wechselvolle Geschichte eingesetzt. Seit 2017 liegt ein Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung vor, der sich für eine angemessene Erinnerung an den jüdischen Friedhof ausspricht.
»Mit der neuen Informationstafel setzen wir nun endlich einen ersten wichtigen Meilenstein für eine Erinnerungskultur an Ort und Stelle«, sagt Kleebank. Dass es auf dem Gelände, das heute ein Gewerbegebiet ist, überhaupt einen jüdischen Friedhof gab, sei vielen Spandauern bislang nicht bewusst gewesen. »Als Bezirk werden wir uns auch weiter dafür einsetzen, dass heute noch erkennbare Areal des Friedhofs wieder in einen würdigen Ort des Gedenkens zu verwandeln«, erklärt der Bezirksbürgermeister.
Den Friedhof der Jüdischen Gemeinde zu Spandau gab es seit 1859. Das hügelige Gelände an den sogenannten Schülerbergen wurde damals durch Moses Kiew für die Jüdische Gemeinde der zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu Berlin gehörenden Stadt Spandau gekauft. 1923 wurde das Friedhofsgelände durch den Zukauf weiterer Grundstücksflächen erweitert und die imposante Trauerhalle vergrößert.
Ab 1933 war der Friedhof wie alle jüdischen Einrichtungen in Deutschland in seinem Bestand akut bedroht. Die Nazis wollten das Gelände in Beschlag nehmen, um es für die Wehrmacht nutzen zu können. Dafür wurde der Friedhof 1940 gegen den Widerstand der Gemeinde geschlossen. Dass die Gräber nicht zerstört wurden, sondern 250 Gräber umgebettet werden konnten, ist den Spandauer Juden, der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und der Israelitischen Synagogen-Gemeinde Adass Jisroel zu verdanken. Die Überführung erfolgte auf den Friedhof der Adass-Jisroel-Gemeinde in der Wittlicher Straße in Berlin-Weißensee. Dort existieren die Grabstätten bis heute als »Spandauer Feld«. Gemäß der jüdischen Tradition währt die Totenruhe ewig. Der Geschäftsführer von Adass Jisroel, Marco Offenberg, kritisiert, dass die historisch für Berlin einmalige Rettungsaktion der Spandauer Gräber nicht ausreichend auf der neuen Gedenktafel erwähnt wird. Statt an den früheren, religionsrechtlich unbedeutenden Ort des einstigen Friedhofsgeländes zu erinnern, sollten die »einmaligen Leistungen der Angehörigen dreier jüdischer Gemeinden« stärker in den Mittelpunkt gestellt werden, heißt es in einer Stellungnahme Offenbergs. Darüber hinaus müsse sich der Bezirk Spandau zu »seinen« historischen Gräbern auf dem Friedhof in Weißensee bekennen und »praktische Verantwortung für Bewahrung und Pflege« übernehmen.
Dass Spandau bis dato keine Gelder für die Instandhaltung der Gräber in Weißensee zur Verfügung stellt, sondern die Kosten von Adass Jisroel getragen werden müssen, ärgert auch Gudrun O’Daniel-Elmen, Beauftragte für Erinnerungskultur im Evangelischen Kirchenkreis Spandau. »Ich finde, das Bezirksamt müsste sich in der Pflege der Grabstätten auf dem Spandauer Feld auf dem Gemeindefriedhof in Weißensee stärker engagieren«, sagt O’Daniel-Elmen, die an der Aufstellung der Gedenktafel in der Neuen Bergstraße beteiligt war. Seit längerem versuche sie bereits, in dieser Angelegenheit zwischen dem Bezirk und der Gemeinde zu vermitteln.
Dass die historischen Fakten über die Geschichte des Spandauer Friedhofs auf der neuen Gedenktafel verzerrt dargestellt werden, findet O’Daniel-Elmen nicht. »Es gibt das Spandauer Feld auf dem Friedhof in Weißensee, auf das die Gräber aus der Not heraus überführt werden konnten, und es gibt den historischen Ort des Friedhofs in Spandau, an dem die Nationalsozialisten Unrecht verübten«, sagt sie. Die ehemalige Grundschullehrerin will sich dafür einsetzen, dass die Erinnerung an den jüdischen Friedhof in Berlin-Spandau wachgehalten wird. »Ich möchte, dass es in Zukunft einen größeren Gedenkort mit mehr Informationen gibt«, erklärt sie. »Als Spandauer ist die Erinnerung an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte unsere Pflicht.«
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