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Nichts mit raus zum Nikolaus
Die Befürworter eines sofortigen GroKo-Ausstiegs konnten sich zu Beginn des SPD-Parteitags nicht durchsetzen
Mit großer Mehrheit stimmte der SPD-Parteitag am Freitagabend für den Leitantrag des Bundesvorstands. Der enthält eine durchaus kritische Halbzeitbilanz dieser Legislaturperiode. Zugleich sieht er aber ein Weiterregieren in der Großen Koalition vor und lediglich informelle Gespräche mit CDU und CSU über Zugeständnisse an die Sozialdemokraten, die über das im Koalitionsvertrag Vereinbarte hinausgehen.
In der Parteitagsdebatte am Freitag überwogen die Plädoyers für eine Fortsetzung der Großen Koalition. Zwar sei die Regierung mit CDU und CSU ein Zweckbündnis, doch von vornherein eines auf Zeit, so der Tenor. Nach längerer Debatte wurde der Leitantrag des Parteivorstands am Freitagabend, dessen Kern der Wille zum Weiterregieren ist, mit übergroßer Mehrheit per Kartenzeichen ohne nennenswerte Änderungen angenommen.
Zahlreiche Rednerinnen und Redner hatten zuvor die Errungenschaften der SPD in der Groko herausgestellt und warnten davor gewarnt, dass weitere Verbesserungen für »die Menschen« nicht erreicht werden könnten, wenn man nun ausstiege oder »vom fahrenden Zug« springe, wie Juso-Chef Kevin Kühnert es ausdrückte. Vielfach wurde gefordert, man dürfe die eigenen Erfolge endlich nicht mehr kleinreden.
Im beschlossenen Leitantrag des Parteivorstands mit dem Titel »In die neue Zeit« zieht dieser in erster Linie eine Halbzeitbilanz dieser Legislaturperiode, die insgesamt positiv ausfällt. Als Meilenstein wird darin die geringfügig über der Alterssozialhilfe liegende Grundrente für langjährig Versicherte, das »Gute-Kita-Gesetz« wie auch das Klimapaket der Regierung hervorgehoben. Weiter werden Ziele wie höhere öffentliche Investitionen, Nachbesserungen am Klimapaket und eine schnellere Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns in Richtung zwölf Euro formuliert. Es ist jedoch nicht die Rede davon, dass konkrete Schritte zur Bedingung für die Fortsetzung der Koalition mit der Union gemacht werden.
Für die Annahme des Leitantrags und damit für einen Verbleib in der Groko warben die beiden neuen Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans ebenso wie die Bundesministerinnen und -minister, der Juso-Vorsitzende Kühnert, aber auch Ex-Generalsekretärin Yasmin Fahimi und der Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion, Matthias Miersch. DGB-Chef Reiner Hoffmann forderte die Genossen in einem Grußwort ebenfalls zum Weiterregieren auf.
Fahimi erinnerte an von den Sozialdemokraten durchgesetzte Verbesserungen wie das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das Gute-Kita-Gesetz und die Grundrente, auf die die Partei »verdammt stolz« sein könne. Sie dankte Sozialminister Hubertus Heil überschwänglich für seinen Kampf um den Anspruch auf diese kleine Rentenerhöhung. Eine Delegierte betonte allerdings, es liege auf der Hand, dass die Grundrente nur ein »ganz, ganz kleiner Baustein zur Bekämpfung der Altersarmut« sei, die immer größere Dimensionen annehme.
Fahimi wies zudem auf den von Bundesfinanzminister Olaf Scholz geplanten Altschuldenfonds für hoch verschuldete Kommunen, die so endlich wieder handlungsfähig würden. Allein deshalb sei eine Weiterarbeit in der Groko dringend nötig. Ähnlich äußerten sich auch mehrere Kommunalpolitiker, die auf die dramatische Situation von Städten und Gemeinden etwa im Ruhrgebiet hinwiesen.
Matthias Miersch betonte, das im Klimapaket Erreichte sei wesentlich mehr als das, was die Grünen 2017 in den schließlich von der FDP abgebrochenen Verhandlungen für eine Jamaika-Koalition im Bund durchgesetzt hätten. »Darauf können wir stolz sein«, befand Miersch. In ihrer Eröffnungsrede hatte auch die nun abgelöste kommissarische SPD-Chefin Malu Dreyer betont: »Wir sorgen dafür, dass Deutschland als erstes Industrieland gleichzeitig aus der Kohle und der Kernenergie aussteigt und dass trotzdem alle eine gute Perspektive haben.«
Eine Delegierte zeigte sich skeptisch gegenüber einem Weiter so in der Regierung, insbesondere, weil die Begrenzung der Folgen des Klimawandels schnelles Handeln erfordere. Sie werde jedoch für den Leitantrag stimmen, sagte sie. Nicht, weil sie davon überzeugt sei, sondern »weil ich Norbert und Saskia, die ich dreimal hintereinander gewählt habe, unterstützen möchte«. Sie gebe dem neuen Spitzenduo damit einen Vertrauensvorschuss und sei zuversichtlich, dass die beiden sie nicht enttäuschen werden, so die Genossin.
Erstaunlich deutliche Worte kamen noch vor der Wahl der beiden neuen Vorsitzenden von der ehemaligen baden-württembergischen SPD-Landeschefin von Baden-Württemberg, Leni Beymaier. Auch sie äußerte sich anerkennend darüber, dass die Partei eine Mindestausbildungsvergütung durchgesetzt und weitere Rentenkürzungen verhindert habe. Sie erinnerte jedoch auch daran, dass die SPD acht Jahre mit rot-grüner Mehrheit im Bundestag »eben nicht genutzt« habe, »um eine Bürgerversicherung und ein gerechtes Rentensystem hinzubekommen«. »Deshalb haben wir auch verkackt bei den Leuten«, konstatierte Breymaier nüchtern. Auch, dass die »großen Männer« verkündet hätten, »dass wir auf keinen Fall mit der Linkspartei zusammenarbeiten dürfen«, habe der SPD massiv geschadet, sagte die Gewerkschafterin.
Diejenigen, die weiterhin für einen sofortigen Ausstieg aus der Groko plädierten und dazu einen entsprechenden Änderungsantrag mit der Nummer sieben zum Leitantrag gestellt hatten, waren in bei aller Kritik und Selbstkritik in der Minderheit. Für ein vorzeitiges Aus des Bündnisses mit der Union sprachen sich auf dem Parteitag nur die Sprecherin des Forums Demokratische Linke 21, Hilde Mattheis, und die ehemalige Juso-Chefin Franziska Drohsel aus. Mattheis verwies auf die historisch schlechten Umfragewerte, die derzeit bei 13 bis 15 Prozent lägen, womit ihre Prognose von vor zwei Jahren wahr geworden sei: »Die Groko macht die SPD klein.«
Drohsel erinnerte daran, dass die SPD »die Partei der Menschlichkeit« sei. Deshalb müsse sie sich endlich »konsequent an die Seite der Seenotretter stellen« und die in den letzten Jahren in der Groko mitgetragenen drastischen Verschärfungen im Asylrecht zurücknehmen bzw. vehement für deren Aufhebung streiten. Deshalb und weil immer mehr Menschen »ärmer und ärmer« würden, müsse die SPD raus aus der Groko und einen Neuanfang wagen, forderte Drohsel. Ähnlich äußerte sich ein junger Genosse, der 2014 als Jugendlicher aus Syrien in die Bundesrepublik geflüchtet war.
Hilde Mattheis mahnte, mit dem Weiter so in der Groko wähle die SPD einen »schleichenden Tod«. Sie müsse die Kraft zum Ausstieg finden, um ihres Überlebens willen. In der Regierung habe die Partei zu viele Kompromisse gemacht, die nicht zu substanziellen Verbesserungen führen. Sie kritisierte auch die Zustimmung ihrer Partei zur Minimalkontingentlösung beim Nachzug der Familien von Geflüchteten nach Deutschland. »Wenn wir uns hier hinstellen und uns loben, wird unsere Glaubwürdigkeit noch weiter leiden«, sagte die Politikerin. Statt dessen müsse die SPD endlich »offen für linke Bündnisse sein«, forderte sie.
Die Mehrheit entschied sich anders.
Am Freitagabend wurden fünf statt wie zunächst geplant drei stellvertretende Bundesvorsitzende gewählt. Mit dieser Entscheidung hatte der Vorstand vor Parteitagsbeginn dafür gesorgt, dass es nicht zu einer Kampfabstimmung zwischen Juso-Chef Kühnert und Sozialminister Hubertus Heil kommen konnte. Außer den beiden Männern wurden die in der Stichwahl um den Vorsitz unterlegene Klara Geywitz, die saarländische Wirtschaftsministerin und SPD-Landesvorsitzende Anke Rehlinger und Serpil Midyatli, Bundesvorstandsmitglied und Landtagsabgeordnete in Schleswig-Holstein, zu Vizechefinnen der Bundespartei gewählt.
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