SPD weiter im Spagat

Sozialdemokraten verordnen sich Harmonie / Parteitag beschließt Weiter so in der Großen Koalition

Mit ausgesprochen respektablen Ergebnissen waren Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans am Freitag gewählt worden - mit 75,9 und 89,2 Prozent der Delegiertenstimmen. Die stehenden Ovationen des SPD-Parteitags waren auch ein Signal an sämtliche Bundesminister und Spitzenpolitiker der Partei, die sich zuvor für das im Mitgliedervotum unterlegene Bewerberduo Klara Geywitz und Olaf Scholz ausgesprochen hatten.

Zum Ausgleich bekam Bundesfinanzminister Scholz verbale Streicheleinheiten, nicht zuletzt vom neuen Spitzenduo. »Danke, Olaf, für den Altschuldenfonds!«, rief ihm etwa die ehemalige SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi zu. Über diesen Fonds sollen nach den Plänen von Scholz besonders hoch verschuldete Kommunen von einem Teil ihrer Verbindlichkeiten entlastet werden. Die Umsetzung dieses Vorhabens war ein zentrales Argument derer, die die Arbeit in der Großen Koalition fortsetzen möchten. Ein weiteres: Die SPD will ein »Strukturstärkungsgesetz« für die vom Kohleausstieg betroffenen Regionen durchsetzen.

Den Anspruch auf eine etwas über dem Alterssozialhilfeniveau liegende Grundrente für langjährige Beitragszahler ohne Bedürftigkeitsprüfung habe Scholz gegenüber CDU und CSU letztlich durchgesetzt, betonten mehrere Redner. Auch Sozialminister Hubertus Heil, in dessen Haus das Konzept für die »Respektrente« erarbeitet worden war, Familienministerin Franziska Giffey, die für das »Gute-Kita-Gesetz« verantwortlich zeichnet, und Umweltministerin Svenja Schulze wurden überschwänglich gelobt, letztere für ihre Arbeit am Klimapaket der Regierung.

Die SPD brach nicht den Stab über die Große Koalition. Deren Zukunft bleibt damit offen. Im Leitantrag, der unter Beteiligung der neuen Vorsitzenden entstanden war und mit übergroßer Mehrheit verabschiedet wurde, laviert die Partei: Man habe in der Groko zahlreiche sozialdemokratische Anliegen durchsetzen können. Deshalb wolle man weiter in der Regierung bleiben.

Zugleich sollen die beiden Vorsitzenden gemeinsam mit Vizekanzler Scholz und Bundestagsfraktionschef Rolf Mützenich »Gespräche mit der Union« über weitergehende Forderungen führen, nämlich die nach einem Investitionsprogramm im Umfang von rund 450 Milliarden Euro, nach einer »perspektivischen« Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf zwölf Euro pro Stunde und nach weitergehenden klimapolitischen Maßnahmen. Anschließend, heißt es in dem Papier weiter, werde der Parteivorstand bewerten, »ob diese wichtigen Zukunftsaufgaben in der Großen Koalition noch angepackt werden können«. Was passieren soll, wenn das nicht der Fall ist? Wer weiß.

Nichts mit raus zum Nikolaus
Die Befürworter eines sofortigen GroKo-Ausstiegs konnten sich zu Beginn des SPD-Parteitags nicht durchsetzen

Vor der Abstimmung über den Leitantrag waren Vertreter der Parteilinken mit der Forderung nach einem sofortigen Ausstieg aus der Groko gescheitert. Das dürfte auch darauf zurückzuführen sein, dass sich sowohl die neuen Vorsitzenden als auch Juso-Chef Kevin Kühnert hinter den Leitantrag gestellt hatten. Für eine Aufkündigung des Regierungsbündnisses mit der Union sprachen sich in der Debatte die Sprecherin des Forums Demokratische Linke 21, Hilde Mattheis, und die ehemalige Juso-Chefin Franziska Drohsel aus. Drohsel erinnerte auch an die inhumanen Verschärfungen im Asylrecht, die die SPD mitgetragen hat. Jetzt müsse sie sich endlich »konsequent an die Seite der Seenotretter stellen«.

Neben sozialpolitischen Debatten gab es auf dem Parteitag weitere Personalentscheidungen. Um Konflikten vorzubeugen, war der Bundesvorstand von seinem Vorhaben abgerückt, nur noch drei statt wie bisher sechs stellvertretende Vorsitzende zu wählen. Stattdessen wurden fünf Vizechefs bestimmt: die in der Stichwahl um den Bundesvorsitz unterlegene Brandenburgerin Klara Geywitz, die saarländische Wirtschaftsministerin und SPD-Landeschefin Anke Rehlinger, Serpil Midyatli, Landtagsabgeordnete in Schleswig-Holstein, Juso-Chef Kevin Kühnert und Sozialminister Heil. Im Amt bestätigt wurden Generalsekretär Lars Klingbeil, Schatzmeister Dietmar Nietan und der EU-Beauftragte Udo Bullmann.

Die 24 weiteren Mitglieder des Bundesvorstandes bestimmte der Parteitag am Samstag. Unter ihnen sind die Bundesministerinnen Franziska Giffey und Svenja Schulze, Bundesaußenminister Heiko Maas, Brandenburgs Regierungschef Dietmar Woidke, die Landesminister Martin Dulig und Boris Pistorius. Maas war im ersten Wahlgang noch durchgefallen. Wie auch der Regierende Bürgermeister Berlins, Michael Müller, und der bisherige Parteivize Ralf Stegner - im zweiten Wahlgang traten beide nicht mehr an. Die Bundestagsabgeordnete Aydan Özoğuz ist das einzige Vorstandsmitglied mit Einwanderungsgeschichte.

Zum Auftakt des Parteitags hatten vor dem Tagungsort auf dem Berliner Messegelände neben Greenpeace-Aktivisten auch Mitglieder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) demonstriert. Sie appellierten an die Delegierten, sich für eine Rücknahme des Gerichtsbeschlusses zu engagieren, mit dem dem Verein kürzlich der Status der Gemeinnützigkeit entzogen worden war. Sollte er Bestand haben, würden Steuernachforderungen die Existenz der VVN-BdA gefährden.

Die Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora äußerte in einem offenen Brief an die Delegierten die Erwartung, dass vom Parteitag ein »wirksamer Impuls« ausgehen möge, das durch den Beschluss entstandene Unrecht »unverzüglich zu korrigieren«. Auf der Parteitagsbühne kam das Thema jedoch nicht vor.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -