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Ambitioniert und unkonkret
Der »Green Deal« der neuen EU-Kommission ist bestenfalls ein grobes Gerüst für die Klimaschutzwende
Es war eines der wichtigsten Versprechen der neuen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen: Innerhalb der ersten 100 Tage ihrer Amtszeit werde sie ein umfassendes Klimaschutzpaket auf den Weg bringen. Den Chefsessel der wichtigsten EU-Behörde bestieg von der Leyen am 1. Dezember, die Umrisse ihres »European Green Deals« stellte sie am Mittwoch nun vor.
Das Vorhaben kommt mit vielen großen Worten daher und lässt zugleich eine Menge Fragen unbeantwortet. Wie erwartet ist das zentrale Element des Pakets ein Gesetz, in dem das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 festgeschrieben wird. Bis zu diesem Jahr müssen in der EU die Emissionen an Treibhausgasen drastisch reduziert und der verbleibende Ausstoß durch andere Prozesse kompensiert werden. Den konkreten Textentwurf will von der Leyen beziehungsweise ihr für die Klimapolitik zuständiger Vizepräsident Frans Timmermans bis März 2020 vorlegen.
»A Green and Sozial New Deal for Europe« – unter dieser Überschrift stellte die Linksfraktion GUE/NGL im Europaparlament am Mittwoch ihr Alternativkonzept zu den Plänen der EU-Kommission vor. Es beinhaltet konkrete und verbindliche Maßnahmen für zehn Politikbereiche. Nach den Worten der Co-Fraktionsvorsitzenden Martine Aubry geht es darum, sowohl der Klimakatastrophe als auch der Katastrophe der sozialen Ungleichheit zu begegnen. Gefordert wird, das EU-Ziel zur Senkung der CO2-Emissionen bis 2030 auf 70 Prozent zu erhöhen und bis 2050 negative Emissionen zu erreichen.
Bis dahin soll die Energieversorgung zu 100 Prozent aus Erneuerbaren gedeckt werden, was Hunderttausende Jobs schaffen würde. Gefordert werden unter anderem eine Förderung des öffentlichen Personenverkehrs und nachhaltiger Landwirtschaft, der energetischen Gebäudesanierung sowie ein Verbot von Privatflugzeugen. Schädliche Produkte sollen verteuert werden, wofür es einen sozialen Ausgleich geben soll.
Bei der Finanzierung ist es für die Linken wichtig, staatliche grüne Investitionen von der Drei-Prozent-Defizit-Regel auszunehmen und besser gegen Steuererosion vorzugehen. Klimaschutzmaßnahmen bezahlen sollen vor allem Großunternehmen aus dem Energiesektor, der Agrar- und Nahrungsmittelindustrie sowie der Immobilienwirtschaft. KSte
Dazu gibt es ein Zwischenziel, das erhöht wird, um die längerfristige Vorgabe erreichbar zu machen: So soll der CO2-Ausstoß in der EU bis 2030 um 50 Prozent oder sogar 55 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken. Bislang hatten sich die Mitgliedstaaten zu einer Reduktion um 40 Prozent verständigt. Zunächst soll jedoch eine wissenschaftliche Folgenbewertung erfolgen. Im vor Optimismus strotzenden Jargon der Kommission heißt es: Wenn die Untersuchung vorliegt, werde entschieden, welcher Meilenstein der beste ist.
Gipfel-Bremser USA
Die Washingtoner Regierung versucht die Verhandlungen in Madrid in ihrem Sinne zu lenken - andere US-Akteure versprechen mehr Klimaschutz
Begleitet werden soll dieser Ansatz von tiefgreifenden Transformationen auf allen Ebenen. So soll die Sanierung von Gebäuden beschleunigt werden, um Energie zu sparen. Diese soll künftig mehr aus erneuerbaren Quellen kommen. Dafür ist etwa ein Ausbau von Offshore-Windparks geplant. Die Schwerindustrie soll nach und nach auf Wasserstoff umgestellt werden. Weil die passende Technologie dazu noch in den Kinderschuhen steckt, ist 2030 als Zielmarke angepeilt.
Der Verkehrssektor soll auf Strom aus erneuerbaren Energien oder Wasserstoff umsteigen. Bis 2025 sollen dafür EU-weit eine Million öffentliche Ladestationen für E-Autos entstehen. In der Landwirtschaft soll die Nutzung von Pestiziden, Kunstdüngern und Antibiotika drastisch reduziert werden. Wälder, denen als CO2-Speicher eine wichtige Rolle beim Thema Klimaneutralität zukommt, sollen aufgeforstet werden. Auch in besiedelten Gebieten will man mehr Bäume pflanzen.
Die EU will mit gutem Beispiel vorangehen und die eigenen Institutionen schon bis 2030 klimaneutral machen. Ob dieses Ziel erreichbar ist, wo das gesamte Europaparlament weiterhin monatlich zwischen Straßburg und Brüssel hin und her pendelt, bleibt aber fraglich.
Der Klimawandel sei eine globale Herausforderung, und die EU verursache nur rund zehn Prozent der weltweiten CO2-Emissionen, betont die Kommission. Dieser externen Komponente soll etwa in der Handelspolitik Rechnung getragen werden. Freihandelsabkommen sollen künftig neben der Lage der Menschenrechte in den Partnerländern immer auch an Klimaschutzambitionen geknüpft sein. Hinzu kommt ein Ausgleichmechanismus, damit Industrie nicht in Länder verlegt wird, die beim Klimaschutz weniger ambitioniert sind. So könnten etwa Abgaben auf importierten Stahl erhoben werden, der nicht oder weniger klimafreundlich produziert wurde als europäische Produkte.
Und das Geld für all die Vorhaben? Auf eine Billion Euro innerhalb des nächsten Jahrzehnts beziffert von der Leyen die Kosten für die grüne Wende. Wie dies finanziert werden soll, bleibt aber völlig unklar. Nur ein kleiner Anteil davon soll aus Mitteln der EU und der Europäischen Investitionsbank kommen. Die Idee ist, einen »Just Transition Fund« im Umfang von 100 Milliarden aufzulegen, der zu einem Großteil Geld aus dem privaten Sektor mobilisieren soll. Außerdem sollen die EU-Wettbewerbsregeln angepasst werden, damit Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, klimafreundliche Projekte und Unternehmen stärker zu bezuschussen.
Der »Green Deal« bleibt zunächst eine Aneinanderreihung von Zielsetzungen - manche neu, manche im neuen Gewand oder mit neuem Zeitplan. Angesichts der Tatsache, dass die Kommission erst seit knapp zwei Wochen im Amt ist, war nicht viel mehr zu erwarten. Die fehlenden Details zur Finanzierung könnten dem Unterfangen allerdings bereits diese Woche zum Verhängnis werden: Das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 soll beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschef am Donnerstag und Freitag in Brüssel offiziell beschlossen werden. Allerdings sind drei osteuropäische Länder unter der Führung von Polen, deren Energieversorgung größtenteils auf Kohle basiert, bislang nicht an Bord. Sie fordern vor allem mehr Geld beziehungsweise verbindliche Zusagen, dass ihnen beim Umkrempeln ihrer Energiesysteme geholfen wird. Zwar sollen aus dem Übergangsfonds 35 Milliarden Euro für den Strukturwandel bereitgestellt werden - allein Deutschland hat aber bereits 40 Milliarden für seine Kohleregionen beschlossen.
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