- Kultur
- Gerhard Gundermann
Das Bild schärfer stellen
Früher musste noch nicht alles ironisch sein: Ein neuer Dokumentarfilm über Gerhard Gundermann
Da die Formel gesamtdeutsch=westdeutsch gültig bleiben muss, wo eine Vereinigung nie stattgefunden, der unveränderte Staat vielmehr sich bloß nach Osten hin ausgedehnt hat, droht jeder Versuch, dem westdeutschen Publikum einen ostdeutschen Künstler bekannt zu machen, diese Asymmetrie zu reproduzieren.
Die neuen Bürger hatten alles über die alten zu lernen, die alten nichts über die neuen. Dagegen anzuarbeiten ist Andreas Dresen mit seinem Spielfilm »Gundermann« (2018) nicht gelungen, und vielleicht lässt sich zu seiner Verteidigung vermuten, dass er das nie vorhatte. Vielleicht wollte er genau jene Unterwerfung vor dem bornierten Selbstverständnis der Bundesrepublik, kenntlich an der Entscheidung, die marginale, für Gerhard Gundermanns Biografie unwesentliche Episode um seine MfS-Tätigkeit ins Zentrum zu rücken. Nur so erträgt man den Ossi - im Kampf mit den Ärgernissen des Sozialismus bzw. mit der Stasi-Vergangenheit hadernd. Dass Gundermann wie kein anderer Liedermacher die in der kapitalistischen Expansion vollzogene kulturelle, politische und ökonomische Planierung des Ostens reflektiert hat, konnte die selbstgefällige Rezeption bloß stören.
Michael Brie arbeitet zur Geschichte des Sozialismus und zur Theorie der Transformation in der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Mario Candeias ist Direktor des Instituts für Gesellschaftsanalyse an der Stiftung und Mitbegründer der Zeitschrift »LuXemburg«.
Alex Demirović ist kritischer Intellektueller und Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der Stiftung. Dagmar Enkelmann war viele Jahre Abgeordnete im Bundestag und im Brandenburger Landtag und ist Vorstandsvorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Doch eben dieses lästige Element wird jetzt in Grit Lemkes »Gundermann Revier« deutlich herausgestellt. Sie macht alles richtig, was Dresen falsch gemacht hat. Endlich erkennt man den selbstbewussten, kommunistischen Poeten wieder, der etwa in seinem Song »Krieg« wagte, das kultur-koloniale Verhältnis zwischen Ost und West zu spiegeln.
Formal ist hier wenig Überraschendes. Der erwartbare Wechsel zwischen Archivmaterial, Interviews und symbolischen Shots mit Voiceover oder eingespielten Songs bedingt die etwas anstrengenden, aber unvermeidlichen Sprünge zwischen verschiedenen Bildformaten. Die Kapitel, sämtlich mit Titeln seiner Songs überschrieben, folgen dem Leben des Liedermachers, strukturieren also brav chronologisch.
Erkennbar ist das Bemühen, jedem Abschnitt und jeder Seite dieses Poeten gleichen Raum zu gewähren. Die Gefahr einer bloß addierenden Reihung von Geschehnissen wird umgangen, indem der Film erzählerisch arbeitet. Es geht um den Charakter eines Menschen, seine Entwicklung, um Konzentration auf den Künstler, die Arbeitsweise, die politische Haltung. Alles Geschehen wird mit Rücksicht darauf geordnet, und nie entsteht der Eindruck, die Regisseurin folge einer Agenda, der zuliebe sie sich den Gegenstand zurechtbiegt.
Tatsächlich erzählt der Film nur weniges, was man noch nicht wusste, schafft aber dennoch, das Bild etwas anders auszuleuchten. Er ist, nach »Gundi Gundermann« (1982) und »Ende der Eisenzeit« (1999), beide von Richard Engel, die dritte biografische Dokumentation über den Dichter, und wie »Ende der Eisenzeit« gegenüber dem ersten Versuch den Vorteil des abgeschlossenen Lebens sowie des Zugriffs auf weit mehr Material hatte, scheint »Gundermann Revier« nun vor allem der zeitliche Abstand zu diesem Material gutzutun. Dabei revidiert der Film nichts, er stellt das Bild eher schärfer.
Gundermanns Charakter bleibt, wie man ihn kennt; der ehrgeizige Schüler, kämpferische Agitator, Kopf und Kragen der Brigade Feuerstein, seiner ersten Band und Schauspielgruppe. Die Szenen erinnern an eine Zeit, in der es noch möglich war, Heiterkeit unbefangen hervorzubringen, und nicht alles gleich wieder ironisch gebrochen werden musste. Das scheint typisch für Epochen, denen Utopie innewohnt und deren Bewegung nach vorn geht. Wo man ein großes Ziel hat, kann man Ja sagen, ohne dass es sich peinlich anfühlt.
Die Kehrseite ist ein Rigorismus, der sich politisch ebenso äußerte wie in der künstlerischen Arbeitsweise. Gundermann überschritt die Grenzen des Zumutbaren. Die Brigade Feuerstein zerbrach, weil der arbeitswütige Single sein Leben restlos zwischen Tagebau und Kunst aufteilte und an die anderen, die Familien und Kinder hatten, denselben Maßstab anlegte. Das Bemühen, in der SED seine Kampfform zu finden, scheiterte an Gundermanns revolutionär gestimmter Attitüde, unerbittlich und nicht zu Kompromissen bereit. Seine Ehrlichkeit war oftmals verletzend, den Kommunismus verwechselte er mit Selbstlosigkeit. Er brauchte lange zu lernen, Anderes gelten zu lassen und dass es im Leben mehr als bloß das Ganze geben muss.
Der Weg als Solokünstler ergab sich damit von selbst. Wo die große Umwälzung vollzogen ist, wirkt die revolutionäre Seele verloren. Für Politik ist sie nicht geeignet, bleibt also die Arbeit, mithin die Kunst. Schaffen statt Kämpfen, aber kämpferisch schaffen. Im Film wird Gundermanns besondere Weise, die Gitarre anzuschlagen, erwähnt. Gerade weil der Klang seines Spiels den Eindruck erzeugt, hier spiele nicht bloß einer, war er geboren für die Solodarbietung, und das ist gewiss übertragbar aufs Politische.
Er dichtete einsam. Das kahle Hoyerswerda wurde ihm zur poetischen Bedingung. »Wo nischt is, is alles möglich«, sagte er. Fantasie entsteht durch Anregung oder als Kompensation, wenn die ausbleibt. Die Stille im Steuerhaus der gigantischen Maschine, die er im Schichtbetrieb führte, war eine dröhnende. Der Lärm der Maschinen schluckte alles, und dort hat Gundermann die meisten seiner Lieder geschaffen.
Die poetische Vereinzelung aber hatte nur Sinn im Zusammenhang einer Gesellschaft, die das Kollektive als einen Wert ansieht. Als Gundermann 1990 in die Gesellschaft geworfen wurde, in der der Einzelne alles ist, und alle daher nichts, wurde die solitäre Haltung belanglos. Als in der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1990 das letzte Mal die Hymne der DDR im Radio lief, kamen ihm und seiner Frau Conny die Tränen. »Wir haben geahnt, dass das, was jetzt kommt, nichts mehr mit uns zu tun hat«, erinnert sie, Gundermann sah sich als Teil der »übersprungenen Generation«, die in dem Moment, als sie den Hebel der Macht in die Hand bekam, das verlor, was sich hebeln lässt.
Dass diese politische Machtlosigkeit die produktivste poetische Phase des Dichters zeugte, mochte ihm selbst kein Trost sein. Wir haben das Privileg, es von der Tragödie abgelöst nehmen zu können. Nicht weil das Ende des Sozialismus kein Verlust war, sondern weil der Wert dieser Poesie darin liegt, diesen Verlust artikuliert zu haben. Diese Perspektive macht möglich, die Rücknahme der kommunistischen Utopie in die ökologische, in der der späte Gundermann einen Ausweg zu sehen meinte, nicht mitmachen zu müssen.
»Gundermann Revier«, Deutschland 2019, Regie und Buch: Grit Lemke, Länge: 98 Min.
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