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- Christopher Street Day
Ich bin stolz, ein*e Deutsche*r zu sein
Die Organisator*innen des Kölner CSD glauben, Nazis könne man den Nationalismus irgendwie wegnehmen. Ein Irrtum
Es war, entgegen anderslautender Werbemaßnahmen, noch nie schön oder spaßig, irgendwie anders zu sein, zu denken und zu lieben - besonders nicht in Deutschland. Für queere Menschen war dieses Land die längste Zeit unmittelbare Bedrohung, und nichts am politischen Trend der Zeit weist darauf hin, dass es das nicht schnell auch wieder werden könnte.
Deshalb wäre man gerne mit auf der Insel gewesen, auf der sich die Organisator*innen des Kölner Christopher Street Days (»Cologne Pride«) offenbar in den letzten Jahren aufgehalten haben, denn nur ein vollkommen sorgloser Dauerurlaub vermag zu erklären, wie das Motto der Veranstaltung für das kommende Jahr »Einigkeit! Recht! Freiheit!« werden konnte. Das Motto, das letzte Woche laut Auskunft der Veranstalter »auf dem queeren Weihnachtsmarkt« (wohl nach einem Dutzend Glühwein) verkündet wurde, nehme bewusst auf die dritten Strophe der deutschen Nationalhymne Bezug, so der Pressetext, sei »Denkanstoß, Mahnung, Ausdruck von Wertschätzung und Forderung« zugleich. Sie stünde für eine »rechtsstaatliche, demokratische Ordnung«, die »eine pluralistische und offene Gesellschaft« ermögliche. Man wolle »die Deutungshoheit dieser Werte« nicht Nationalisten und Populisten überlassen. Markus Kowalski fordert in seinem Leitartikel auf dem Portal queer.de gar: »Die queere Community sollte sich endlich die Symbole unserer Demokratie aneignen.«
Das ist ja ein schönes Bild! Die bockige »queere Community«, die sich aus lauter Eitelkeit dagegen wehrt, die zahllosen tollen Angebote anzunehmen, die »unsere« Demokratie ihnen täglich macht! Mit einer Zeile hat man die Leute, für die man sich vorgeblich einsetzt, kollektiv schon als Feinde der Demokratie denunziert, sie als Gegenteil zum »Wir« gesetzt, ihnen aber auch gleich noch die Schuld daran gegeben. »Gewiss, der deutsche Staat hat LGBTI viel Unrecht getan«, heißt es da herablassend, »doch die Versöhnung mit diesem Unrecht hat begonnen«. Beleg für diese erstaunliche These ist eine Rede Frank-Walter Steinmeiers, in der der Bundespräsident dieselben Luftblasen abgibt wie zu anderen festlichen Gelegenheiten auch - dafür wird der Mann schließlich bezahlt.
Nein, alle noch so kleinen Zugeständnisse, die dieser Staat queeren Menschen gemacht hat, wurden ihm durch Protest abgezwungen - und bei diesen Protesten wurde aus gutem Grund nicht die Nationalhymne gesungen. Der »Rechtsstaat«, über den sich Kowalski freut, hat völlig legal jahrelang Homosexuelle auf brutalste Weise verfolgt, lange noch nach der Nazizeit. Transpersonen wurden ganz rechtsstaatlich verstümmelt und misshandelt, noch immer sind die von ihnen unternommenen Versuche, Anerkennung zu erhalten, eine sich über Jahre hinziehende, erschöpfende Tortur. Karrieren wurden vernichtet, Leben zerstört. Noch zu meiner Schulzeit konnten Lehrer im Unterricht unwidersprochen dozieren, Homosexuelle seien für den Schuldienst nicht geeignet.
Und man muss gar nicht weit in die Vergangenheit gucken: Im »Land für alle Menschen, die hier leben« (Kowalski), leben manche erstaunlich kurz, wie die Selbsttötungsrate unter queeren Jugendlichen zeigt. Das verbrecherische Grenzregime der Festung Europa, deren Hauptarchitekt Deutschland ist, ist für queere Geflüchtete noch tödlicher als für den Durchschnitt - aber das sind ja auch nicht »die Menschen, die hier leben«. Deutschland unterstützt und fördert queerfeindliche Regimes, wo es nur geht, auch in Europa; liefert Überwachungstechnologie an Staaten, die diese direkt zur Verfolgung von Minderheiten einsetzen. Aber auch das betrifft ja nur Leute, die nicht hier leben, also was soll’s?
Und die Nationalhymne? Es gibt immer noch genug Menschen auf der Welt, die das »Lied der Deutschen« bei Fernsehübertragungen wegschalten müssen, weil es für immer mit der Erinnerung an die Auslöschung ihrer Familien verbunden ist. Wie man wieder und wieder auf die Idee kommen kann, Nazis und Populisten könne man den Nationalismus irgendwie wegnehmen, ihn irgendwie umcodieren, bleibt das Geheimnis der »Cologne Pride«. Wenn die letzten Jahre uns etwas gelehrt haben, dann doch, dass es keinen unschuldigen »Partypatriotismus« gibt und auch nicht geben kann - die Deutschlandfähnchen, die man bei der Fußball-WM gesehen hat, wurden kurz darauf bei Pegida geschwenkt, und Matthias Matussek, der damals für den »Spiegel« die neue Deutschtümelei verteidigte, trifft sich heute mit der rechtsextremen Identitären Bewegung.
Die Unbelehrbarkeit der Verantwortlichen in diesen Dingen ist erstaunlich - schon zuvor hatten Veranstaltungen in Köln und Frankfurt aufs unglückseligste mit Variationen auf nationale Themen geworben, folgerichtig konnte man auch nur mit Mühe die Anwesenheit rechter Gruppierungen auf den Protestzügen unterbinden. Und was ist mit den Leuten, die »hier leben«, die aber genau wissen, dass sie nicht mitgemeint sind, wenn irgendwo wieder Deutschlandfahnen geschwenkt werden? Zu einem CSD, der bei den meisten schon jetzt eher als weiß denn als bunt wahrgenommen wird, werden sie noch weniger gehen.
Es rührt diese Farce aber auch an eine Grundfrage der Zeit: Was treibt die Menschen nur zu dem fortwährenden Flirt mit Leuten, die ihnen einfach nichts Gutes wollen, nie wollen werden? Warum will man unrettbare Symbole retten, Menschen zurückholen, die zurückbleiben wollen? Man lasse sie doch einfach da stehen. Es spart Kraft und Zeit.
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