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Pflöcke statt Mikadostäbchen

Kurt Stenger freut sich auf die Folgen des EU-Gipfelbeschlusses zur Klimaneutralität

Es ist ein dicker Pflock, den die Staats- und Regierungschefs der EU jetzt in den Boden der weltweiten Klimadiplomatie gerammt haben: Bis 2050 will die Gemeinschaft klimaneutral werden. Dass einer der drei großen CO2-Emittenten vorprescht, könnte die vor sich hindümpelnden UN-Verhandlungen 2020 wieder in Schwung bringen.

Auch wenn der EU-Gipfel reine Symbolpolitik beabsichtigt: Die EU hat ein Ziel beschlossen, dessen tatsächliche Realisierung einen völligen Umbau der wichtigsten Industrien und eine Änderung der Konsumgewohnheiten verlangen würde. Das Erstaunliche ist, dass ein dermaßen radikales Vorhaben von einer Gruppe von Politikern beschlossen wird, die aus der Mitte des Parteienspektrums bis weit zum rechten Rand stammen. Des Rätsels Lösung liegt in einer Fristeninkongruenz: Regierungsvertreter denken bekanntlich maximal in Vier- bis Fünfjahreszeiträumen - meist noch kurzfristiger -, während es hier um ein Vorhaben für ferne Jahrzehnte geht, wo die meisten Beteiligten schon lange zumindest im Politruhestand sein werden. Sprich: Für 2050 ist man gerne bereit, das Blaue vom Himmel zu versprechen. Umso härter und schwieriger dürften die Debatten in der EU werden, wenn es um das Zwischenziel für 2030 geht, das sofortiges Tätigwerden verlangt. Feste Vereinbarungen sind hierbei erst in etwa einem Jahr zu erwarten. Und bisher anvisierte Klimaziele sind zu schwach, wenn man das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens ernstnimmt.

Doch auch der 2050-Pflock ist etwas gesplittert. Tschechien setzte grünes Licht für die Atomkraft durch, was auch dem Klima nicht gut tut. Das wirtschaftlich nicht gerade kleine Polen handelte für sich eine Ausnahmeregelung in Sachen Klimaneutralität aus. Positiv ist, dass die Rechtsregierung in Warschau nicht gegen Klimaschutz per se wettert, sondern darauf hinweist, dass die Polen aus eigener Kraft den Ausstieg aus der alles dominierenden Kohleverstromung nicht schaffen werden. Damit werden zwei zentrale Fragen beim »Green Deal« berührt: Letztlich kann sich Klimaschutz nur sozial gerecht realisieren lassen. Und der Umbau in eine klimaneutrale Wirtschaft kostet Geld, sehr viel Geld. Wenn man nicht die Finanzierung profitgetriebenen Privatinvestoren überlassen und neuartige Spekulationsblasen riskieren möchte, müssen also die Summen von denen mit den starken Schultern aufgebracht werden: Großunternehmen und Vermögenden wie Topverdienern, aber gleichzeitig auch von den wohlhabenden EU-Staaten. Damit geht es an den Kern des bisherigen EU-Wirtschaftsregimes: Steuerdumping zwecks Standortvorteilen wird genauso der Vergangenheit angehören müssen wie eine Fiskalpolitik mit Austeritätslogik, die die derzeit fast zum Nulltarif mögliche Kreditaufnahme auf unsinnige Weise begrenzt. Und das hehre Ziel der Kohäsion in der EU kann sich nicht länger auf einige kleine Förderprojekte aus den Strukturfonds beschränken.

Global betrachtet geht es um mehr: einen neuen wirtschaftlichen Kondratieff-Zyklus, der erstmals nicht von Kapitalinteressen, sondern politisch gesteuert wird. Die internationale Klimabewegung, seit Kurzem von »Fridays for Future« angetrieben, und hartnäckige Naturwissenschaftler drängen in genau diese Richtung. Das waren letztlich die treibenden Kräfte dafür, dass die internationale Klimadiplomatie das lange vorherrschende Mikadoprinzip beerdigt hat: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Es wurde abgelöst von einer Klimapolitik der Freiwilligkeit. Jetzt geht es darum, diese verbindlich, ambitioniert und realisierbar zu machen. Ein langer Atem der Klimabewegung und der Wissenschaft ist hierfür nötig. Denn klar ist auch: Mit einem Pflock der EU ist das Fundament für das 1,5-Grad-Ziel noch lange nicht errichtet.

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