Frauenärztin zieht vor Bundesverfassungsgericht
Medizinerin will Verurteilungen wegen unerlaubter Werbung für Schwangerschaftsabbrüche nicht hinnehmen
»Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass das Kammergericht eine solche Entscheidung fällt«, sagt der Rechtsanwalt von Bettina Gaber, Johannes Eisenberg gegenüber »nd«. Ein Gericht in Berlin, noch dazu besetzt von drei Richterinnen - der für seine linke Geschichte bekannte Strafrechtler Eisenberg ist ehrlich empört. Er hat die sogenannte Sprungrevision gewählt und ist mit seiner Mandantin, statt per Revision durch alle Instanzen zu gehen, nun direkt vor das Bundesverfassungsgericht gezogen.
Bettina Gaber war im Juni zusammen mit einer Kollegin vom Amtsgericht Tiergarten zu einer Geldstrafe von jeweils 2000 Euro verurteilt worden, das Kammergericht hatte diese Verurteilung im November bestätigt.
Aber »es geht natürlich nicht allein um die 2000 Euro, sondern darum, endlich die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes festzustellen«, so Eisenberg. Er hofft, dass hier relativ schnell eine Entscheidung herbeigeführt werde. Es könne aber auch sein, dass sich eine Prüfung vor dem Bundesverfassungsgericht einige Jahre hinziehe.
In jedem Fall liegt der umstrittene Paragraf 219a nun dort, wo ihn viele für das Selbstbestimmungsrecht von Frauen Engagierte schon seit dem Urteil gegen die Gießener Ärztin Kristina Hänel von 2017 sehen wollen: bei der Instanz, die entscheiden soll, dass es sich bei dem Paragrafen um einen verfassungsrechtlichen Verstoß gegen verschiedene Rechte handelt.
Ähnlich argumentiert auch der Rechtsanwalt Karlheinz Merkel, der die Ärztin Kristina Hänel vertritt. Deren Verurteilung hatte seinerzeit die bundesweite Debatte über den Paragrafen 219a, der Werbung für Abtreibung verbietet, ins Rollen gebracht. »Der Paragraf muss ersatzlos gestrichen werden«, sagt Merkel zu »nd« - und auch: »Frau Gaber und ihr Anwalt haben das einzig Richtige getan.« Seine Mandantin wurde in einem Berufungsprozess vergangene Woche am Landgericht Gießen abermals zu einer Geldstrafe verurteilt.
Die Beratungsorganisation pro familia begrüßt die Verfassungsbeschwerde ebenfalls: »Nachdem sogar Richter*innen, die Verurteilungen wegen Paragraf 219a aussprechen mussten, angezweifelt haben, dass dieser Paragraf mit der Verfassung vereinbar ist, bleibt zu hoffen, dass die Verfassungsrichter diese Zweifel teilen«, heißt es in einer Erklärung des Bundesverbands gegenüber »nd«. »Es ist ein Armutszeugnis für die Politik, dass dieser Paragraf vor Gericht verhandelt werden muss«, sagt die frauenpolitische Sprecherin und stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Cornelia Möhring zu »nd«. Der reformierte Paragraf 219a schaffe einfach keine Rechtssicherheit, das zeige sich in allen Urteilen. Er gehöre endlich gestrichen.
Das Urteil gegen Bettina Gaber und ihre Kollegin war das erste seit der Neuregelung des umstrittenen Gesetzes im März diesen Jahres. Die Gynäkologinnen hatten auf der Internetseite ihrer Praxis darauf hingewiesen, dass zu den Leistungen einer der Ärztinnen auch ein »medikamentöser, narkosefreier« Abbruch »in geschützter Atmosphäre« gehört. Das wurde im ersten Urteil als Gesetzesverstoß gewertet.
Das Kammergericht bestätigte das Urteil gegen Bettina Gaber. Es war der Ansicht, dass es nur erlaubt sei, »die bloße Vornahme eines Eingriffs« kenntlich zu machen. Durch den Zusatz »in geschützter Atmosphäre« sei der Straftatbestand der unzulässigen Werbung erfüllt.
Gaber und Eisenberg gehen davon aus, dass der Paragraf 219a in seiner neuen Fassung die Grundrechte auf Äußerungs- und Berufsfreiheit der Ärztin verletze. Zudem sei er »in sich widersprüchlich, er adressiert in der Überschrift «Werbung», verbietet im Text aber auch nicht werbende Mitteilungen«, hieß es in einer Mitteilung zur Beschwerde. Er führe zu Rechtsunsicherheit für Ärzte und mache sie zum Objekt von Nachstellungen.
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