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  • »Buñuel im Labyrinth der Schildkröten«

Aufgebackene Brötchen

Eine bekloppte Idee: Der Zeichentrickfilm »Buñuel im Labyrinth der Schildkröten«

  • Stefan Ripplinger
  • Lesedauer: 3 Min.

Unter allen bekloppten Filmideen ist diese eine der beklopptesten: Salvador Simó hat aus dem herben Höhepunkt des Realismus, »Las Hurdes - Land ohne Brot« (1932) von Luis Buñuel, einen Zeichentrickfilm gemacht, der streckenweise wirkt wie aus Hongkong importiert. Zweierlei mildert den Frevel: Erstens hat Simó nicht »Las Hurdes« adaptiert, sondern erzählt die Entstehungsgeschichte des Films. Zweitens ist diese Geschichte tatsächlich so fantastisch, dass sie erzählt gehört.

Nach seinen Schockern »Ein andalusischer Hund« (1929) und »Das goldene Zeitalter« (1930) durfte Buñuel kein Geld von bürgerlichen Produzenten mehr erwarten. Da gewann sein Freund Ramón Acín, ein anarchistischer Bildhauer, bei einer Lotterie 200 000 Peseten. Mit dieser Summe kaufte sich Buñuel unter anderem einen klapprigen Fiat und fuhr ins spanische Las Hurdes. Früher Zufluchtsort der von der Inquisition verfolgten Juden, lebten in der schroffen Felsregion unter Dächern, die wie Schildkrötenpanzer aussehen, Menschen, die nicht wussten, was Brot ist. Der eingangs erwähnte kurze Film, den Buñuel mit dem Fotografen Eli Lotar und dem Schriftsteller Pierre Unik vor Ort drehte, zeigt grausame Riten, Hunger, Wahnsinn, schreckliche Entstellungen - viele Bewohner litten am Kropf -, plötzlichen Tod. Dass Buñuel nicht bloß Beschreiber dieses Grauens war, sondern sich von ihm zu einem Höllen-Brueghel inspiriert fühlte, dem er manchmal selbst einen schwarzen Pinselstrich hinzufügte, haben ihm Kleingeister vorgehalten. Aber das ist gerade die Qualität des Films, der surrealistische Züge annimmt, wenn er zeigt, wie ein Maultier an einem Angriff von Bienen verendet. Das drastisch ins Bild gesetzte Leid der Tiere spiegelt das der Menschen.

Simó lässt den Geldgeber Acín das Team begleiten, um für den dramatischen Konflikt zu sorgen: Der Produzent muss händeringend mitansehen, für welche Extravaganzen sein Gewinn draufgeht. Plump werden Träume Buñuels bebildert, alle von der dunklen Seite des Ödipus - der Papa will ihn erwürgen, die begehrte Frau Mama verwandelt sich in die Muttergottes -, das nimmt die Zeit, auch einen Blick auf Buñuels Mitarbeiter zu werfen. Der Kameramann Lotar hatte sich mit Fotografien aus dem Schlachthaus bekannt gemacht und war sein Leben lang der sozialistischen Sache ebenso verpflichtet wie Unik, der den spröden Text zum Film verfasste. Der Kommunist Unik verließ bereits 1933 die surrealistische Gruppe und ist 1945 auf der Flucht aus einem Gefangenenlager in Schmiedeberg verschollen. Acín wurde, wie seine Frau, 1936 von Faschisten in einen Hinterhalt gelockt und ermordet. Das muss nicht unbedingt wissen, wen die Geschichte von »Las Hurdes« interessiert, aber legt doch nahe, dass nicht ein schlecht vernarbter Ödipuskomplex, sondern ein politischer Kampf den Hintergrund des Films bildet, der gleichwohl mehr ist als Kampf für Las Hurdes. Denn sonst würde er uns nicht mehr aufwühlen, nachdem es längst auch in dieser Gegend aufgebackene Brötchen gibt.

»Buñuel im Labyrinth der Schildkröten«, Spanien/Niederlande/Deutschland 2018. Animationsfilm. Regie: Salvador Simó. 79 Min. Ab 26.12. in den deutschen Kinos.

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