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- »7500«
Aristoteles gefällt das
Die Welt des Terrorismus als Wille und Vorstellung: Der Flugzeugentführungsfilm »7500« ist großes Suspense-Kino
Künstler tun seltsame Dinge. Übers eigene Werk reden etwa. Wenn sie auch wissen, wie sie es tun - kaum je wissen sie, was sie da tun. Regisseur Patrick Vollrath zum Beispiel nennt seinen Film »7500« ein »hyperrealistisches Thrillerdrama«, in dem es darum gehe, durch den engen Raum eines Flugzeugs die »globalisierte, multikulturelle Landschaft von heute« mittels einer Handlung zu spiegeln, an deren Ende der »Teufelskreis« der Gewalt durchbrochen werde. Tatsächlich befördert »7500« weder einen gesellschaftlichen Realismus, noch wird hier ein Zyklus der Gewalt durchbrochen. Es liegt vielmehr ein punktgenau inszeniertes, naturalistisches Charakterstück vor, das souverän die Einheit von Ort, Handlung und Zeit wahrt. Aristoteles gefällt das, doch es ist mehr intensiv als bedeutend, mit einem Blick, der nicht weit reicht, sondern nach innen geht. Zu echt, um wahr zu sein.
Wir sehen das Cockpit eines A 319, der tägliche Kurzstreckenflüge zwischen Tegel und dem Pariser Flughafen Charles de Gaulle absolviert. Der in den USA geborene Co-Pilot Tobias Ellis (Joseph Gordon-Levitt) macht die Maschine gemeinsam mit dem Kapitän (Carlo Kitzlinger) startklar. Ebenfalls an Bord, als eine von zwei Flugbegleiterinnen, befindet sich Gökce (Aylin Tezel), die mit Tobias und ihrem gemeinsamen Sohn in Berlin-Kreuzberg lebt. Als die Maschine ihre Flughöhe erreicht hat, dringen mit Glasscherben bewaffnete Männer, die irgendwas mit Allah wollen, in das Cockpit ein. Der Kapitän wird schwer verletzt; Tobias gelingt es, einen der Angreifer kampfunfähig zu machen und die Cockpittür vor den anderen beiden zu schließen. Die Entführer versuchen, teils mit Gewalt, teils mit der Drohung, Passagiere oder Flugbegleiter zu töten, den Zugang zum Cockpit zu erlangen. Tobias, der zudem in Funkkontakt mit den deutschen Sicherheitsbehörden steht, muss die Entführer daran hindern, das Flugzeug zu ihrer Waffe zu machen, auch wenn das bedeutet, dass einzelne Insassen sterben.
Was nach einem klassischen Lehrstück in der Tradition Brechts riecht, wird der hierfür erforderlichen Strenge im Gedanklichen nicht gerecht. Zu sehr liegt der Akzent auf dem Visuellen und dem Gefühl der Hauptfigur Tobias, um die sich alles dreht. Die Perspektive sitzt - wenige Augenblicke an Anfang und Ende beiseite - durchweg im Cockpit, zeigt entweder das Geschehen im engen Raum oder durch Bordkamera bzw. Fenster jenes unmittelbar davor. Erzählte und gezeigte Zeit decken sich, alle Schnitte sind kontinuierlich. Die Zeit vergeht sozusagen im Flug. Über längere Phasen gleicht der Film einem Monodram, wobei die bewegliche Kamera häufig noch näher an die Figur rückt als platzbedingt ohnehin nötig. Je enger der zu bespielende Raum, desto mehr Raum muss das Spiel sich nehmen. Auf den wenigen Quadratmetern bleibt ja kaum anderes als Gesicht, Körper und Stimme. Joseph Gordon-Levitt spielt hier all sein Handwerk aus und besteht die Probe in jeder Sekunde.
Und alles soll schroff, kantig, unbarmherzig sein, Terror darf nicht ästhetisiert werden, auch der Kampf dagegen nicht. Dieser Held handelt heldenhaft, aber nicht heroisch. (Ein Unterschied, den James Krüss in seiner Geschichtensammlung »Mein Urgroßvater, die Helden und ich« an vielen Beispielen untersucht hat.) Tobias ist aller Protokolle und Ausbildung zum Trotz überfordert. Wo anderswo längst ein paar Oneliner oder coole Gesten gesetzt worden wären, sehen wir hier bis zum Schluss eine Handlung, die so tatsächlich hätte geschehen können. Entsprechend verzichtet der Film, der mit wuchtigen Soundeffekten, dem typischen Hintergrund (Turbinen, Aircondition, Funkgespräche, Signaltöne) und intensiven Körper- oder Kampfgeräuschen durchaus Beklemmung erzeugt, auf jegliche musikalische Gestaltung. Gleiches im Visuellen; die Ausleuchtung wurde reduziert, es dominieren Schatten und kalte Blautöne.
Starke Wirkung entsteht durch das, was man nicht sieht. Das Hirn des Zuschauers rechnet von der beschränkten Sicht aufs Ganze hoch. Etwa in den Minuten, bevor alles eskaliert, wenn das gezeigte Geschehen noch wie das eines gewöhnlichen Flugs wirkt, der Kinobesucher indessen schon weiß, dass etwas passieren wird, er besucht ja einen Entführungsfilm.
Durch die Bordkamera sieht man minutenlang immer wieder den geschlossenen Vorhang zum Sitzbereich der Passagiere, immer wieder bewegt er sich leicht, mal ist ein Fuß, mal eine Hand zu sehen, mal öffnet er sich und eine Flugbegleiterin tritt in den Galley-Bereich, um bald wieder zu verschwinden. Das ist großes Suspense-Kino, gemacht mit sehr einfachen Mitteln.
Der Triumph des Naturalismus muss keine Niederlage des Realismus sein. Gerade im Genre Film schließt sich das nicht aus, weil es visuell und den Sound betreffend ebenso intensiv wirken kann wie durch Rede und also Gedanken. Das kräftemäßige Gleichgewicht zwischen Bild, Ton und Wort ermöglicht, als Zusammenspiel dieser Seiten, nicht bloß Entsprechen, sondern auch Widersprechen, mehr als Theater oder Literatur das können. »7500« lässt die Möglichkeiten des Dialogs leider weitgehend ungenutzt. Immer wenn irgendwer irgendwas erklärt, wirkt es schwach, da ist kein Satz, der hängen bliebe, keine Erkenntnis, keine Pointe, nichts, was einen innerlich trifft. Die Suada der Entführer hier schafft es, das reale Geplapper des politischen Islam an Einfalt und Belanglosigkeit noch zu überbieten. Gewiss hebt »7500« sich durch kühle Vernunft wohltuend von der penetranten und zuletzt in »Mission: Impossible - Fallout« zelebrierten Moral ab, derzufolge das Leben eines Einzelnen ebenso viel wiege wie das Leben von Tausenden. (Und wie verlogen diese Maxime ist, zeigt sich schon darin, dass keiner der Filme, in denen man sie propagiert sieht, tatsächlich den Mut hat, sie mit Konsequenz zu handhaben. Immer, wenn das Leben der Vielen durch die Rettung des Einzelnen riskiert wird, werden am Ende auch die Vielen gerettet.) Dennoch muss man sich das meiste aus der Situation heraus zusammenreimen. Der Widerspruch zwischen dem Wohl des Einzelnen und dem Wohl der Gesamtheit, die Welt des Terrorismus als Wille und Vorstellung (selbst die Physik hat zu spuren, sobald man ein Messer an die Kehle einer Geisel hält), der politische Hintergrund des Terrors, der eben nicht bloß Element eines abstrakten Kreislaufs der Gewalt ist, sondern Ausdruck einer konkreten Ideologie, die ihrerseits dem Boden gesellschaftlicher Verhältnisse entspringt: All das wäre zu entfalten, nicht bloß durch Körpersprache und viel zu karge Dialoge anzudeuten gewesen. Gewiss fühlt sich das alles spröde, kantig und irgendwie echt an, aber nicht alles, was spröde ist, ist damit auch gleich wahr.
»7500«, Deutschland/Österreich 2019. Regie: Patrick Vollrath; Darsteller: Joseph Gordon-Levitt, Omid Memar, Aylin Tezel. 92 Min.
Ab 26. Dezember in den Kinos.
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