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Was das Sportjahr 2019 prägte
Russland hört nicht mit dem Betrügen auf / Union ist oben angekommen / Das nd-Team gewinnt seinen ersten Titel
Auch in diesem Jahr bot der Sport viele Bilder von jubelnden und weinenden Menschen. Das ewig wiederkehrende emotional aufwühlende Schauspiel des Gewinnens und Verlierens, des Feierns und des Trauerns. Doch was 2019 von anderen Jahren abheben wird, ist ein Betrugsfall, der die Sportwelt von Januar bis Dezember beschäftigte und an Dreistigkeit kaum zu überbieten war: Russlands Dopingvertuschung schien längst ein verstaubter alter Hut zu sein, doch die Sportgroßmacht hat ihn sich selbst wieder aufgesetzt.
Russland hört nicht mit dem Betrügen auf
Die russischen Behörden hatten 2018 zugesagt, zum Jahreswechsel Daten des Moskauer Kontrolllabors an die Welt-Antidoping-Agentur WADA zu liefern, in denen Beweise für vertuschte Dopingfälle vermutet wurden. Dass die Übergabe bis Mitte Januar 2019 verzögert wurde, ließ die Welt schon aufhorchen. Wurde da etwa manipuliert? Datenforensiker fanden in den folgenden Monaten tatsächlich heraus, dass Dopingsünder zum zweiten Mal geschützt werden sollten. Wurden einst ihre positiven Proben verheimlicht, sollten die Beweise dafür jetzt unwiderruflich getilgt werden. Doch der Betrug wurde trotz raffinierter Verschleierungsmethoden aufgedeckt. Wer den 62-seitigen Bericht der WADA-Untersuchungskommission liest, kommt aus dem Staunen kaum heraus. Offenbar haben Russlands Computerexperten umdatiert und formatiert, Altes gelöscht und Neues erfunden, echte Spuren verwischt und falsche gelegt. Ginge es nicht um Nullen und Einsen, könnte es Stoff für einen spannenden Krimi bieten.
Doch es blieb nicht nur bei IT-Manipulationen. In der Leichtathletik können russische Sportler seit Jahren nur unter neutraler Flagge starten. Dafür dürfen sie nachweislich nichts mit dem staatlich reglementierten Dopingsystem zu tun gehabt haben. Der 22-jährige Hochspringer Danil Lyssenko (s. Foto) hatte diese Überprüfung bestanden und durfte sich 2018 als Hallenweltmeister feiern lassen. Dann aber fanden ihn die Dopingkontrolleure nicht mehr - dreimal in einem Jahr. Eine Sperre war eigentlich unumgänglich.
Wieder entschieden russische Verbandsfunktionäre, den Doper zu schützen. Sie legten Atteste vor, die Lyssenko entlasten sollten. Später kam heraus, dass es den ausstellenden Arzt gar nicht gab. Die Klinik, in der er angeblich arbeitet, war auch erfunden. Es scheint: Nicht nur Sieger und Verlierer kehren im ewigen Kreislauf des Sports immer wieder. Betrüger auch. Darunter leiden nur saubere russische Sportler. Viele von ihnen werden nun für vier Jahre gesperrt.
Von Oliver Kern
Union ist oben angekommen
Berlin hat gewählt: Der 1. FC Union ist die Mannschaft des Jahres 2019 – und das mit einem Rekordergebnis in der 40-jährigen Geschichte dieser Auszeichnung in der Hauptstadt. Mit 35,27 Prozent der Stimmen lagen die Köpenicker Fußballer weit vorn in der Gunst. Auch ihr Trainer Urs Fischer gewann die Umfrage und damit einen Goldenen Bären. »Diese Auszeichnung wird einen ganz besonderen Platz bei uns in der Kabine bekommen«, freute sich Unions Kapitän Christopher Trimmel.
Mit dem Aufstieg in die Bundesliga hat sich der 1. FC Union ein Sehnsuchtsziel erfüllt. Oder wie es Präsident Dirk Zingler unter Freudentränen direkt nach dem Abpfiff des Relegationsrückspiels gegen den VfB Stuttgart ausgedrückt hatte: »Auf diesen Tag habe ich 40 Jahre lang gewartet.« Für beste Stimmung unter dem Weihnachtsbaum und im Kreise der Fußballfamilie war also gesorgt. Als am vergangenen Montag wieder 28 500 Menschen beim mittlerweile 17. Weihnachtssingen des Vereins zusammenkamen, hatte der Weihnachtsmann nicht viel zu meckern. »Die Alte Försterei von Kerzen erhellt, ist wieder mal das schönste Stadion der Welt«, reimte er beim Blick auf die voll besetzten Tribünen und den komplett gefüllten Innenraum. Schon bald war der Weihnachtsmann mit seinen Gedanken beim Aufstieg »dereinst im Mai«. »Danach die Party, was ein Beben, so feiern wir Unioner eben«, erinnerte er an den dreitägigen Ausnahmezustand in Köpenick.
Das erste Spiel, das erste Tor, der erste Punkt, der erste Sieg: Der 1. FC Union ist oben angekommen. Für manch einen ist er in der Bundesliga sogar schon ein »Orientierungspunkt«. So nannte ihn Kölns neuer Trainer Markus Gisdol nach dem 0:2 in der Alten Försterei: »Union ist ein Beispiel für uns, so wie diese Mannschaft in totaler Konsequenz Fußball spielt.« Mit Leidenschaft, Kampf und guter Fischer-Taktik sind die Köpenicker mit 20 Zählern und Platz elf der beste Aufsteiger nach der Hinrunde. Und sie stehen vor Hertha BSC. So wurden dann auch am Montag – neben 18 Weihnachtsliedern und passend zur Sportlerwahl in der Hauptstadt – folgende Worte am häufigsten angestimmt: »Stadtmeister, Stadtmeister, Berlins Nummer eins«.
Großer Erfolg schafft große Herausforderungen. Das weiß auch der Weihnachtsmann und warnte: »Der Zaubertrank heißt Fußball pur, Mitbestimmung, Fankultur. Drum Eiserne seid auf der Hut, erhaltet euch das wertvolle Gut.«
Von Alexander Ludewig
Das nd-Team gewinnt seinen ersten Titel
Es war historisch, was sich am 17. Januar 2019 in der Oranienburger MBS-Arena ereignete. Seit zwei Jahrzehnten nehmen wir am jährlichen Fußballturnier der Sportjournalisten teil, die Rekrutierung einer Mannschaft ist dabei stets die größte Leistung. Linke sind zwar jederzeit für lange Diskussionen über Fußball zu erwärmen, wenn’s aber an die praktische Umsetzung geht, kneifen sie gern: »Och, nö!« »Geht nicht – der Meniskus!« Jeder Neue bei »nd« wird nach Dienstantritt nach Fußballfähigkeit befragt. Fast immer gibt es Absagen: »Fußball? Ich kann’s einfach nicht.« »Sorry, zwei linke Füße!« Wir müssen oft improvisieren, um überhaupt anzutreten. Von einem dritten Platz 2013 abgesehen, haben wir nie gut abgeschnitten. Siebter oder Achter – so sortieren wir uns meist ein.
Doch 2019 lief alles ganz anders: Schon die Formierung eines Kaders klappte fix. Sozialpolitikredakteurin Alina Leimbach sagte als Erste zu, die Außenpolitikexperten Felix Jaitner und Alexander Isele folgten. Die Onlineredakteure Fabian Hillebrand und Niklas Franzen behaupteten sogar von sich, sie könnten einen ganz ordentlichen Ball spielen. Wir Turnierveteranen – Politikchef Aert van Riel, Sportkollege Oliver Kern und ich – staunten, dass wir das Team nur leicht von außen auffüllen müssten! Wir beriefen bewährte Kräfte: den nd-Fotografen-Sohn Tim Winkler, ein Zweikampfungeheuer, und Noah, meinen 24-jährigen Sohn mit der Fähigkeit, aus fast jedem Ball ein Tor zu machen – wohl von der Mutter geerbt.
Das Turnier lief wie am Schnürchen. 3:3 gegen die »Welt«, 2:2 gegen »Sport-Bild«, 2:0 gegen die »Märkische Allgemeine« – schon standen wir im Halbfinale. 0:0 und dann 3:2 im Neunmeterschießen gegen die Deutsche Welle, weiter ging’s ins Endspiel gegen die »Sport-Bild«! Bei Abpfiff stand’s 1:1, das Neunmeterschießen gewannen wir: 6:5! Wir jubelten und sangen, der große Wanderpokal geht bei »nd« seither von Schreibtisch zu Schreibtisch. Unser Siegerfoto hängt immer noch an der Betriebsratswandzeitung. Traut sich wohl keiner, es abzunehmen – Siegesmeldungen haben bei »neues deutschland« Seltenheitswert.
Am 16.1.2020 wollten wir den Pott verteidigen und Sie, liebe Leserinnen und Leser, zum Anfeuern einladen. Doch vor drei Tagen mailten die Veranstalter: Erstmals seit Journalistengedenken wird das Turnier abgesagt – aus organisatorischen Gründen. Wir hier sind nun einerseits betrübt: So jung wie im Januar 2020 werden wir nie wieder antreten. Andererseits sind wir sehr stolz: »nd« hat sich den Silberpott zwei Jahre in Folge sichern können.
Von Jirka Grahl
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