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Im Eilverfahren trieb Rot-Rot-Grün das Gesetzesvorhaben zum Mietendeckel voran

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 5 Min.

Ein Ende der Mietpreisspirale ist in Sicht. So lautet zumindest das politische Versprechen der rot-rot-grünen Koalition, das sie mit dem Gesetzesprojekt Mietendeckel eingegangen ist. Für fünf Jahre sollen die Mieten für Wohnungen, die vor 2014 gebaut worden sind, eingefroren werden. Überhöhte Bestandsmieten sollen sogar abgesenkt werden können.

Dazu muss das Gesetz aber erst einmal vom Abgeordnetenhaus beschlossen werden. Eigentlich sollen schon am 15. Januar die Änderungsanträge im Ausschuss für Stadtentwicklung und Wohnen eingebracht werden, um aus dem von der Verwaltung von Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (LINKE) erarbeiteten Entwurf ein möglichst rechtssicheres Gesetz zu machen. In der Koalition ist man schon jetzt skeptisch, ob der Termin zu halten ist. Bei einer Expertenanhörung des Ausschusses im Dezember wurde öffentlich, was auch das Gesetz befürwortende Rechtsexperten bereits seit vielen Monaten intern monieren: Viele Formulierungen sind nicht rechtssicher. Das ist aber fatal.

Denn sobald das Gesetz beschlossen ist, werden sich die Gerichte damit befassen müssen. CDU und FDP im Bundestag und im Abgeordnetenhaus haben schon angekündigt, Normenkontrollklage vor dem Bundesverfassungsgericht einlegen zu wollen. Auch vor dem Landesverfassungsgericht Berlin-Brandenburg kann geklagt werden. Es geht ja schließlich um viel Geld. Der Berliner Senat rechnet auf die geplante fünfjährige Geltungsdauer des Gesetzes mit 2,5 Milliarden Euro weniger Mietzahlungen. Im Schnitt wären das rund 30 Euro weniger pro Monat für jede der rund 1,4 Millionen betroffenen Wohnungen in Berlin.

Die Senatorin hat angekündigt, im Falle eines Scheiterns des Gesetzes vor Gericht nicht zurücktreten zu wollen. »Wenn das Verfassungsgericht das Gesetz komplett ablehnt, wäre das für mich kein Rücktrittsgrund«, sagt Katrin Lompscher zu dpa. Sie glaubt auch nicht, dass das Vorhaben komplett scheitern würde. »An dieser Stelle bin ich zuversichtlich, weil mit der Föderalismusreform 2006 das Wohnungswesen in die Kompetenz der Länder überführt worden ist«, erklärt sie. Viel eher geht sie davon aus, dass inhaltliche Details des Gesetzes moniert werden könnten. Zum Beispiel die Höhe der Mietobergrenzen, ab welcher Schwelle Absenkungen zum Tragen kommen können oder wie die vorgesehene Härtefallregelung für Vermieter ausgestaltet sind, die mit den ihnen zugestandenen Mieten möglicherweise nicht auskommen.

Von einer grundsätzlichen jahrelangen Rechtsunsicherheit wegen ausstehender Verfassungsgerichtsent᠆scheidungen geht Lompscher nicht aus. »Die Absenkungsmöglichkeit gibt es neun Monate, nachdem das Gesetz in Kraft getreten ist. Wir haben die Hoffnung, dass wir dann schon eine gerichtliche Klärung haben«, so die Senatorin. Vorhersagen lasse sich das nicht. »Es ist nur eine Lebenserfahrung, dass wichtige Sachverhalte, und ich halte das für einen wichtigen Sachverhalt, nicht ewig warten müssen vor den obersten Gerichten.«

Wenn der Mietendeckel so kommt, wie er im Oktober zwischen SPD, LINKE und Grüne verabredet worden ist, dann wird es erstmals so sein, dass für Vermieter das Halten von Bestandsmietern finanziell attraktiver ist als die Neuvermietung. Denn die neun Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes wirksame Absenkungsmöglichkeit von Mieten greift erst ab einer Höhe von 120 Prozent der im Gesetz definierten Mietobergrenzen. Für eine bis 1918 fertiggestellte Altbauwohnung liegt diese Grenze bei Neuvermietung bei 6,45 Euro kalt pro Quadratmeter.

Ein funktionierender Mietendeckel könnte auch die in den letzten Jahren enteilten Immobilienpreise beeinflussen. »Wir gehen davon aus, dass, wenn der Mietendeckel Bestand hat, die Preise um 20, 25, 30 Prozent nach unten gehen werden«, sagt der Makler Jürgen Michael Schick, Präsident des Immobilienverbandes IVD und Geschäftsführer der Michael Schick Immobilien auf dem Youtube-Kanal FinanceNewsTV. Das Unternehmen McMakler berichtet auf seiner Internetseite, in »Bezirken wie Mitte, Prenzlauer Berg und Kreuzberg ist ein deutlicher Anstieg der Verkaufsanfragen um fast 50 Prozent erkennbar«. Viele Immobilienbesitzer seien »nervös und wollen verkaufen, noch bevor der Mietendeckel beschlossene Sache ist«, heißt es weiter. Überprüfbar sind die Aussagen der Makler derzeit nicht, allerdings deutet sich unabhängig vom Mietendeckel ein Ende rasant steigender Immobilienpreise an. »Der Mietwohnungsmarkt schreitet mit Siebenmeilenstiefeln dem Ende des Zyklus entgegen«, erklärte das Beratungsinstitut empirica im Oktober. Im dritten Quartal 2019 lagen die Angebotsmieten in Berlin demnach knapp vier Prozent unter dem Allzeithoch ein Jahr zuvor. Das könnte auch am deutlich reduzierten Zuzug liegen. Im ersten Halbjahr 2019 wuchs die Bevölkerung nur um rund 7800 Menschen - der niedrigste Wert seit 2011.

Kalt erwischt wurde die Koalition vom Widerstand der Genossenschaften gegen den Mietendeckel, der sich in mehreren Öffentlichkeitskampagnen manifestiert. Nur noch 4000 statt 6000 geplanter Neubauwohnungen würden errichtet, hieß es. Bei ihrem Landesparteitag im November forderte die LINKE den Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen sogar auf, seine »Kampagne« gegen das Volksbegehren Deutsche Wohnen & Co enteignen sowie gegen den Mietendeckel »aufzugeben«.

Bei einer von den Fraktionen von CDU und FDP organisierten Anhörung zum Mietendeckel Anfang Dezember machte Jörg Wollenberg, kaufmännischer Vorstand der Berliner Baugenossenschaft, deutlich, dass es ihm um mehr als entgehende Mieteinnahmen geht. »Es gibt Bewegungen, die die Basisdemokratie zurückfordern«, beklagte er und nannte das Bündnis »Genossenschaft von Unten«. »Damit müssen wir uns tagtäglich auseinandersetzen.« Bei den Mitgliedern werde »der Eindruck erweckt, dass wir etwas falsch gemacht haben in den letzten Jahren«, schilderte er. Tatsächlich ist es an der Zeit, dass die Mitglieder die Aufgabe der Genossenschaften neu diskutieren.

Eine große Gefahr beim Mietendeckel ist die Umsetzung durch die Verwaltung. Hunderte zusätzliche Kräfte sollen dafür sorgen. Angesichts des aktuellen Zustands ist es zumindest zweifelhaft, ob das nötige Personal rechtzeitig arbeitsfähig sein wird.

Der Entwurf des Mietendeckelgesetzes hat auch erneut gezeigt, dass die Stadtentwicklungsverwaltung nicht in der Lage ist, rechtssichere Gesetze auszuarbeiten. Wenn Rot-Rot-Grün seine gesetzlichen Möglichkeiten in der Stadtentwicklung wirklich effektiv ausspielen will, muss dieses Manko angegangen werden, zum Beispiel mit einer neuen Gesetzesschmiede. Überlegungen gibt es dazu bereits in der Koalition. Ein prädestinierter Mitarbeiter dafür arbeitet schon beim Land: Peter Weber, der Erfinder des Mietendeckels.

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