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Weinsteins Watergate
80 Frauen werfen ihm sexualisierte Gewalt vor: In New York beginnt der Prozess gegen Filmproduzent Harvey Weinstein
Zwischen Auf- und Abstieg liegt ein schmaler Grat. Wer sich gestern o.k. fühlte, kann heute k.o. gehen. In solcher Lage ist der frühere US-Filmproduzent Harvey Weinstein. Ihm wird ab heutigem Montag in New York der Strafprozess wegen kriminellen sexuellen Missbrauchs von Schauspielerinnen bzw. einstigen Angestellten gemacht.
Der New Yorker Weinstein, bald 68, war bis vor zwei Jahren einer der mächtigsten Männer der US-Unterhaltungsindustrie, gut vernetzt mit Politik, Medien und Justiz. Viele Jahre gab es Missbrauchsvorwürfe gegen ihn. Doch der Produzent, der als Begründer der Produktions- und Verleihunternehmen Miramax sowie der Weinstein Company über 300 Oscar-Nominierungen errang, nahm viele Politiker sowohl in New York als auch auf Bundesebene immer wieder mit Spenden für sich ein - und erkaufte deren Wegsehen.
Alle Enthüllungsanläufe gegen ihn liefen so lange ins Leere. Eine Wende trat mit der Untersuchung von Weinsteins Wirken durch Ronan Farrow in »The New Yorker« sowie Jodi Kantor und Megan Twohey in der »New York Times« ein. Deren Enthüllungen Ende 2017, in denen mutmaßliche Opfer zunehmend den Mut zur Aussage fassten, trugen zum Sturz des Mannes bei. Farrow und Kantor/Twohey hatten mit ihrer hartnäckigen Recherche auch deshalb Erfolg, weil sich ein langer Leidensdruck bei den Opfern entlud. Sie wurden so zu Pionieren der MeToo-Bewegung. Weinstein wird inzwischen von über 80 Frauen Missbrauch zur Last gelegt - er erlebt sein Watergate.
Aber nach wie vor nicht ohne Gegenwehr. Mitte Dezember gab er sein erstes größeres Interview seit längerem. Es zeigte einen Weinstein aus dem Lehrbuch der Selbstlosen, Unfehlbaren und Selbstmitleidigen: In der »New York Post« stilisierte er sich als früher Held der Frauenförderung. Er habe mehr Filme von Frauen und über Frauen ermöglicht als jeder Produzent vor ihm. Deshalb betrachte er sich heute als »der vergessene Mann«: »Ich möchte, dass diese Stadt anerkennt, wer ich war und nicht, was ich geworden bin.« Das Echo war prompt. 23 der Frauen, die ihm Missbrauch vorwerfen, u.a. die Schauspielerinnen Rosanna Arquette, Ashley Judd und Rose McGowan, veröffentlichten eine Erklärung. Unterzeichnerin Caitlin Dulany sagte: »Harvey hat seine Macht missbraucht, um Frauen zu missbrauchen und ihre Karrieren zu zerstören, meine eingeschlossen.«
Im Morgengrauen des 25. Mai 2018 war Weinstein dem 1. Revier des New York Police Department (NYPD) zugeführt und festgenommen worden. Doch so bedrohlich es für Weinstein da aussah, er war nicht am Ende. Wie bei einem so prominenten Tatverdächtigen zu erwarten, hinterlegte er Kaution und konnte nach Hause. Mit einer Fußfessel durfte er sich zwischen seinen Wohnsitzen in New York und im Nachbarbundesstaat Connecticut bewegen. Unterdessen erweiterte sich der Fall des NYPD von zwei auf drei Klägerinnen. Weinsteins frühere Produktionsassistentin Mimi Haleyi warf ihm vor, sie 2006 in seiner Wohnung vergewaltigt zu haben. Doch auch Weinstein machte mobil, bedrängte über Anwälte Personen, die sich zu Belastungsaussagen bereit erklärt hatten. Bald sah es so aus, als würde er sich von den zahlreichen Zivilklagen befreien können.
Dafür könnte vor Weihnachten ein wichtiger Schritt gemacht worden sein: Mitte Dezember meldete die »New York Times«, er habe eine Grundsatzvereinbarung über Entschädigungen in Höhe von 25 Millionen Dollar an über 30 Frauen, die ihm sexuelle Gewalttaten unterstellen, getroffen. Doch für das Geld soll nicht er selbst aufkommen, sondern die Versicherer seines bankrotten Studios. Zudem bestehen zwei Vorbehalte: Die Vereinbarung muss von allen beteiligten Parteien unterzeichnet und von einem Gericht genehmigt werden. Und das Abkommen, wenn es trägt, wäre juristisch kein Schuldeingeständnis Weinsteins. Wie die Zivilklagen-Vereinbarung auch ausgeht, sie bewahrt ihn nicht vor dem nun beginnenden Strafprozess vorm Obersten Gericht des Bezirks New York. Aktuell wird mit einer Dauer von acht Wochen gerechnet.
Weinstein plädiert auf Unschuld, spricht in allen Fällen von einvernehmlichem Sex. Vor Gericht erwarten ihn fünf Anklagepunkte: zwei Fälle »räuberischer sexueller Gewalt«, ein Fall »krimineller sexueller Gewalt« ersten sowie je ein Fall der Vergewaltigung ersten bzw. dritten Grades. Die Vorwürfe gehen auf Vorwürfe von Weinsteins früherer Assistentin Haleyi und einer bisher namentlich nicht genannten Frau für Vergehen 2006 und 2013 zurück. Zudem wird erwartet, dass die Schauspielerin Annabella Sciorra als Zeugin auftritt. Sie bezichtigt Weinstein, sie vor 26 Jahren vergewaltigt zu haben.
Der Angeklagte und seine Anwälte sind für Überraschungen gut. Sie könnten seine Verhandlungs- und Schuldfähigkeit in Frage stellen. Bei einer Verurteilung droht Harvey Weinstein lebenslange Haft.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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