- Kultur
- Kolonialismus
Fast alle Weißen waren Chefs
Das Ende von Portugals Kolonialismus, formuliert in der Sprache der Kolonialisten: »Roter Staub« von Isabela Figueiredo
Die Hemden des Vaters waren weiß. Auch sein Auto war weiß. Es machte ihm Spaß, mit seiner Frau und seiner Tochter aus der Stadt hinauszufahren, hinein in die Landschaft, die zu glühen schien und nach feuchter Erde roch.
Es gab keine befestigten Straßen mehr, sondern nur Wege, die vielleicht gar keine waren, doch der Vater fuhr sie trotzdem und erschreckte seine Familie. Oft endeten diese Ausflüge im Schlamm. Oder das Benzin ging aus. Oder in einem Schlagloch brach die Achse. Dann musste der Vater Hilfe holen. Das war nicht schlimm, es gehörte für ihn dazu, Anfang der 1970er Jahre in Mosambik: »Mein Vater hat nie ein anderes Land geliebt. Auch in meinen Träumen sind die Wege noch immer aus festgestampfter roter Erde«, schreibt die Journalistin Isabela Figueiredo in ihrem beeindruckenden Buch »Roter Staub« über ihre Kindheit in »Mosambik am Ende der Kolonialzeit«.
Es war eine schöne Zeit für sie, denn sie war die Tochter eines portugiesischen Kolonialisten. »Roter Staub« ist in erster Linie ein Buch über ihren Vater. Wenn er mit dem Auto liegenblieb, »schlug mein Vater sich in den Busch und behelligte jemanden in einer Strohhütte, der kommen sollte, um zu schieben und dem Weißen gegen ein Trinkgeld aus der Klemme zu helfen«, schreibt Figueiredo, denn der Wunsch des Kolonialisten ist immer ein Befehl: »Ich segnete diese gewaltsam rekrutierten Leute stets, die für mich zwischen den Bäumen auftauchten, als wären sie vom Himmel gefallen.«
Der Vater war Elektriker. In den 50er-Jahren war er der Armut auf dem Land in Portugal entflohen und Siedler in Mosambik geworden. Er lebte in der Hauptstadt, die heute Maputo heißt und die von den Portugiesen Lourenço Marques genannt wurde. Isabela Figueiredo ist dort geboren. Sie wohnte mit ihren Eltern in einem Anwesen mit Hausangestellten. Das war für sie kein Luxus, sondern normal: »Für einen Weißen war es in Mosambik nicht schwer, die Lust am Leben zu spüren. Fast alle waren wir patrões, Chefs, und die, die es nicht waren, strebten danach, es zu werden.«
Das wenig industrialisierte Portugal war ökonomisch von seinem Haupthandelspartner Großbritannien abhängig, definierte sich aber ebenso als koloniale Weltmacht. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Bevölkerungszahl rückläufig. Aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage kam es zu verstärkter Auswanderung. In den 50er-Jahren gingen die meisten nach Brasilien, ab den 60er-Jahren in die Industriestaaten Westeuropas; nur eine Minderheit zog es in die Kolonien, die nach der Ideologie des faschistischen Diktators António Salazar die Zukunft des Landes darstellen sollten. Doch diese Zukunft schien mehr und mehr ungewiss, seit Anfang der 60er Jahre in Guinea, Angola und Mosambik die Unabhängigkeitskämpfe begonnen hatten.
In Mosambik lebten 200 000 Europäer und acht Millionen Afrikaner. Für die Kolonialisten waren die Kämpfer der Befreiungsbewegung »Terroristen, Banditen allesamt«, die den Portugiesen »ihr Land rauben« wollten, wie es Figueiredo ausdrückt - in der Sprache eines Kindes von Kolonialisten, so wie die Eltern es ihm erklärten. »Es war notwendig, unser Land zu verteidigen, und daher kamen Soldaten aus Portugal«.
Zum Schluss waren es nur noch Soldaten, die aus dem »Mutterland« in die »Überseeprovinzen« kamen. Von 1961 bis 1975, als die Kolonien endgültig aufgegeben wurden, entsandte Portugal insgesamt 820 000 Soldaten nach Afrika, zehn Prozent seiner Bevölkerung. Die Kosten hierfür verschlangen zum Schluss 40 Prozent des Staatshaushalts, wie Walther Bernecker und Klaus Herbers in ihrer »Geschichte Portugals« (2013) feststellen. Dieser blutige Kolonialkrieg stieß weltweit und auch in Portugal zunehmend auf Ablehnung, in den Kolonien entstand im Militär eine linke Opposition, die sich »Bewegung der Streitkräfte« nannte und 1974 in der »Nelkenrevolution« die Diktatur beendete.
Als »Roter Staub« 2009 in Portugal erschien, erregte das Buch Aufsehen, denn immer noch herrscht der Mythos vor, die portugiesische Kolonialherrschaft sei nicht so schlimm gewesen, ja die Kolonialisten hätten für die Kolonialisierten eine starke Empathie empfunden. Denn mit dem Beginn der Unabhängigkeitskämpfe wurden die Afrikaner mit den Siedlern aus Europa rechtlich gleichgestellt, vorher waren sie keine Rechtssubjekte, sondern wurden gewissermaßen als Tiere begriffen, wie Figueiredo schreibt.
»Einen Neger zu töten, trug einem von einer gewissen Zeit an Ärger ein«, fasst sie diese Neuerung zusammen. Sie benutzt in ihrem Buch konsequent distanzlos das sogenannte N-Wort, denn das ist die Sprache des Rassismus, den sie genau so beschreiben will, wie er sich damals artikulierte: »Dies war die natürliche und unhinterfragbare Ordnung der Dinge und aller Beziehungen: Der Neger diente dem Weißen, und der Weiße befahl dem Neger«, denn »das eben war ihr Verbrechen: Neger zu sein.« Ihr »Wert« bemaß sich nach ihrem »Nutzen« - sie habe die Sprache der portugiesischen Siedler immer noch im Ohr, sagte Figueiredo im Deutschlandfunk.
Mit den pejorativen Begriffen dieser Sprache beschreibt sie auch die sexuelle Gewalt, der die afrikanischen Frauen ausgesetzt waren. Die Siedler gingen zu ihnen ins »Schilf«, denn die »Negerinnen hatten weite Fotzen, die weißen Frauen aber sagten ›da unten‹, oder ›die Scham‹ oder ›das Geschlecht‹«. Die europäischen Frauen galten als »ehrbar« und nicht als »leicht zu erlegendes Wild«.
Auch der Vater tickte so. Figueiredo erinnert ihre Mutter als abweisend, während der Vater »Lebenslust« ausgestrahlt habe: »er aß gern, trank und fickte gern«, letzteres hätte man seinem Auftreten angemerkt, »ich wusste es nicht und wusste es irgendwie doch«. Stets gibt es im Haus Essen im Überfluss, für seine Tochter litt dieser Mann allgemein unter einem »verzehrenden Hunger«, der ihn fast umbrachte.
Er hatte »ein großes verschwitztes Gesicht, voller Hass oder Liebe, je nachdem«. Er war ungeduldig und jähzornig. Hörte er von den Untergebenen Widerworte, verteilte er Tritte, das war wie eine »Krankheit«, erinnert sich seine Tochter, die sich vor seiner »absoluten Macht« fürchtete. Denn sie wusste, dass er sie töten könnte, würde sie von einem Schwarzen ein Kind bekommen.
Sein unberechenbares Verhalten symbolisiert die ambivalenten Erinnerungen an ihre Kindheit im Kolonialismus. Einerseits war für sie das Leben in Lourenço Marques »warm und entspannt, von einem Summen erfüllt, ganz fließend wie der Name«, andererseits war die Hauptstadt von Mosambik »in der Dekade von 1960 bis 1970 ein großes Konzentrationslager mit dem Geruch nach Curry«.
Die Haut des Vaters schuppte, aber sie roch gut, wenn er seine Tochter umarmte. Und auch ein Reaktionär kann sich freimachen von reaktionären Rollenvorstellungen: Der Vater bestand darauf, dass seine Tochter studieren sollte. »Ich müsse daran denken, meine Unabhängigkeit sicherzustellen. Mittel zum Leben zu haben, ohne von einem Mann abhängig zu sein.« Was er nicht absehen kann, ist, dass sich seine Tochter durch ihre Bildung zu seiner »schlimmsten Gegnerin« entwickeln wird, die er später als »Kommunistin« beschimpft.
Denn der Vater bleibt Rassist, der auch noch nach der Unabhängigkeit von Mosambik an ein »Afrika der Weißen« glaubt und sich vom Apartheidsregime Südafrika Hilfe erhofft. Tatsächlich initiiert 1976 der Nachbarstaat Rhodesien, unterstützt von Südafrika, einen Bürgerkrieg gegen die neue, moskautreue Regierung in Mosambik. Anders als die meisten Portugiesen bleiben Figueiredos Eltern im Land und schicken ihre Tochter im Alter von 13 Jahren nach Portugal zur Großmutter. Die Eltern folgen erst zehn Jahre später, denn der Vater kommt in Mosambik ins Gefängnis, nachdem er öffentlich Samora Machel, den ersten Staatspräsidenten, beleidigt hatte.
1974/75 strömten rund 500 000 »Retornados« (Rückkehrer) aus den Kolonien nach Portugal. Meistens kehrten sie in die Gegenden zurück, aus denen sie oder ihre Vorfahren in die einstigen »Überseekolonien« aufgebrochen waren. In Mosambik hatte der Vater seiner Tochter erzählt, sie seien weder arm noch reich, sondern hätten ihr »Auskommen«. Was er mit »arm« gemeint hatte, begriff sie erst, als sie bei ihrer Großmutter auf einem Strohbett schlafen und Speck mit Kartoffeln und Kohl essen musste. »Arm sein hieß, meine Großmutter sagen zu hören, es sei besser, Wäsche für andere Leute zu waschen, denn Studieren mache niemanden satt«. Die Jugendliche arbeitet als Aushilfe in der Werkstatt ihres Onkels, wo sie dessen Zudringlichkeiten abwehren muss. Sie erinnert sich an das »verweinte Lächeln« ihres Vaters zum Abschied, als sie in Mosambik in das Flugzeug nach Lissabon stieg, wie »eingefroren in Raum und Zeit«.
Romane und erzählende Berichte über proletarisch geprägte Väter, die beinahe oder tatsächlich zerbrechen, gibt es in letzter Zeit häufiger: Das wieder aufgelegte Buch »Der Platz« von Annie Ernaux, »Wer hat meinen Vater umgebracht« von Édouard Louis oder »Ein Mann seiner Klasse« von Christian Baron (erscheint Ende des Monats). Diese Bücher eint die Politisierung der eigenen Familiengeschichte und damit auch der erlebten Schmerzen. Deren Erzählung ist Ausdruck eines wieder nachgefragten Realismus, der die Klassengesellschaft unter all dem medialen Gerede und Getröte, das einem den Kapitalismus als angeblich beste aller Welten verkaufen will, freilegt.
Ist das auch eine Folge des Schrumpfens der Sozialdemokratie, die augenscheinlich keine Kraft mehr hat, die gesellschaftlichen Widersprüche herunter zu dimmen? Figueiredo verleiht ihnen eine fulminante Härte, ebenso intersektional wie literarisch formuliert. Ihrem Vater war nicht zu helfen. Zurück in Portugal war es für ihn das schlimmste, auf der Straße eine weiße Frau mit einem schwarzen Mann zu sehen.
Isabela Figueiredo: Roter Staub. Mosambik am Ende der Kolonialzeit. A. d. Portug. v. Markus Sahr. Weidle, 170 S., brosch., 23 €.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.