Stoppsignal für Klimaschutz

Siemens setzt weiter auf umstrittenes Kohleprojekt - und erntet noch mehr Kritik

Umweltschützer kämpfen darum, dass Siemens seine Beteiligung an einem umstrittenen Kohleminenprojekt in Australien beendet. Doch trotz eines Treffens mit Klimaaktivistin Luisa Neubauer am vergangenen Freitag will der Konzern seinen Vertrag erfüllen. Siemens werde den Auftrag nicht absagen, teilte Chef Joe Kaeser am Sonntagabend mit. »Wir hätten dieses Projekt von vornherein klüger angehen sollen«, räumte er ein, aber: »Jetzt müssen wir ein Lieferant sein, der sich an seine Verpflichtungen hält, solange sich auch der Kunde an die rechtlichen Anforderungen hält.« Siemens liefert die Signaltechnik für die Bahnstrecke zu der Mine.

Für künftige Entscheidungen soll nun bei Siemens ein Nachhaltigkeitsgremium mit externen Mitgliedern geschaffen werden; auch junge Leute will Kaeser einladen. Zuvor hatte er Luisa Neubauer einen Posten im Aufsichtsrat der geplanten neuen Energiesparte angeboten. Die bekannteste Vertreterin des deutschen Fridays-for-Future-Ablegers lehnte ab: »Mit dem Posten wäre ich den Interessen des Unternehmens verpflichtet und könnte Siemens nicht mehr unabhängig kommentieren. Das ist nicht mit meiner Rolle als Klimaaktivistin zu vereinbaren«, sagte die 23-Jährige zur Begründung und schlug vor, stattdessen einen Wissenschaftler von Scientists for Future zu berufen, was wiederum Kaeser ablehnte.

Ihre Rolle als Kritikerin ohne Wenn und Aber unterstrich Fridays for Future am Montag mit bundesweiten Protesten vor Siemens-Geschäftsstellen. Aktivist Nick Heubeck sagte im Radiosender Bayern2: »Ich bin wütend angesichts der katastrophalen Entscheidung.« Sie zeige, dass Konzernchef Joe Kaser nicht gewillt sei, für einen »eigentlich lächerlichen Auftrag von 20 Millionen Euro sein Wort zu halten und Siemens zukunftsgerichtet auszurichten«.

Das sehen viele so: »Wenn es Siemens wirklich ernst meinen würde mit Klimaschutz, hätte der Konzern sich gar nicht erst um den Auftrag beworben«, sagte Christian Russau, Vorstandsmitglied des Dachverbands der Kritischen Aktionäre. »Der Fall zeigt exemplarisch die Verwicklungen des angeblich nachhaltigen Konzerns mit der fossilen Industrie und entblößt das klimaschädliche Geschäftsmodell, an dem auch mit der neuen Siemens Energy festgehalten wird.« Auf der Hauptversammlung Anfang Februar wollen die Kritischen Aktionäre in einem Gegenantrag fordern, den Vorstand nicht zu entlasten.

Der jetzigen Entscheidung von Siemens vorausgegangen war ein längeres Hin und Her. Anfang Dezember machte Minenbetreiber Adani den Auftrag für Siemens publik. Nach wochenlangen Aktionen von Umweltschützern in Australien und Deutschland, an denen sich auch Fridays for Future beteiligte, sowie nach Zehntausenden Protest-E-Mails schal-tete sich Konzernchef Kaeser ein. Er habe bisher nicht über das Projekt Bescheid gewusst, schrieb er Mitte Dezember auf Twitter, und nehme die Bedenken der Menschen ernst. Kaeser erbat sich Bedenkzeit und sicherte eine sorgfältige Prüfung zu.

Es geht um eine riesige Kohlemine im Bundesstaat Queensland, seit Jahren Zankapfel zwischen Politikern und Umweltschützern in Australien. Nach jahrelangen Debatten hatte der indische Rohstoffkonzern Adani im Juni 2019 die Genehmigung erhalten. Der Tagebau soll sich über 447 Quadratkilometer, eine Fläche halb so groß wie Berlin, erstrecken. Die geförderte Kohle - laut Planung 10 bis 27,5 Millionen Tonnen pro Jahr - soll nach Indien verschifft und dort zur Stromgewinnung verbrannt werden. Bei Vollproduktion würden jährlich 115 Millionen Tonnen CO2 - ein Drittel der deutschen Emissionen - in die Atmosphäre gepustet, was die globalen Klimaschutzbemühungen konterkariert.

Derzeit befindet sich das Schienennetz im Bau, denn die Kohle muss über 300 Kilometer zur Küste transportiert werden. Siemens rechtfertigte sich seiner Zeit per Pressemitteilung damit, dass die Mine die Genehmigungen der australischen Behörden erhalten habe und »von den wichtigsten politischen Parteien des Landes« unterstützt werde.

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Das Projekt ist besonders brisant, da Australien augenblicklich die schlimmste Buschfeuerkrise seiner Geschichte durchlebt. Kaeser ging deswegen in seiner Mitteilung jetzt auch auf das Inferno ein. Die Nachrichten, die er von Australiern erhalten habe, die ihm schrieben, wie ihre Häuser und ihr Land abbrannten, hätten ihn »persönlich betroffen« gemacht. Er betonte, dass Siemens nach wie vor dazu verpflichtet sei, bis 2030 CO2-neutral zu werden und »fossile Brennstoffe langfristig in den Volkswirtschaften überflüssig zu machen«. Als eine Art »Wiedergutmachung« bot er an, Australien dabei zu unterstützen, die von den Feuern zerstörte In-frastruktur wieder aufzubauen.

Dennoch nennt Christian Slattery, Umweltaktivist der Australian Conservation Foundation, das Vorgehen »eine Schande«. »Mit dieser Entscheidung hat das Unternehmen sein wahres Gesicht gezeigt.« Die Klimapolitik von Siemens sei »hohl und leer«.

Terry Hughes von der James Cook University in Queensland, einer der führenden Korallenexperten, übte ebenfalls scharfe Kritik an Siemens. Die von Adani geförderte Kohle soll per Schiff entlang des gefährdeten Great Barrier Reef nach Indien geschafft werden. Das weltgrößte Korallenriff erhole sich derzeit »nur langsam von den Auswirkungen beispielloser wiederholter Hitzewellen«. Jetzt sei es »dringend an der Zeit, sich von fossilen Brennstoffen abzuwenden, um die globale Erwärmung einzudämmen, und keine riesigen neuen Minen mehr zu bauen«, so der Professor für Meeresbiologie.

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