China im Ausnahmezustand

Verbreitung des Coronavirus trotz Gegenmaßnahmen erneut vervielfacht

  • Fabian Kretschmer, Peking
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Sonntag trat Ma Xiaowei, Leiter der nationalen Gesundheitskommission, gleich mit zwei Hiobsbotschaften vor die internationale Presse in Peking: Zum einen würde die Übertragungsfähigkeit des mysteriösen Coronavirus derzeit weiter ansteigen. Und im Gegensatz zum SARS-Virus, das 2002 eine Pandemie auslöste, sei der neuartige Erreger aus Wuhan auch während der Inkubationszeit ansteckend. Dies macht eine Eindämmung ungleich schwerer, schließlich dauert es bis zu zwei Wochen, dass unwissentlich Infizierte erste Symptome der Lungenkrankheit zeigen. Die Anzahl an Infizierten kann also weiter steigen.

Dabei hat sich allein übers Wochenende die Verbreitung des Coronavirus erneut vervielfacht: Mit Stand vom Sonntag haben die Behörden knapp 2000 Infizierte bestätigt, 56 Tote und mehrere Hundert Patienten in kritischem Zustand.

Die jüngsten Erkenntnisse der Gesundheitskommission erklären die radikalen Eindämmungsmaßnahmen der chinesischen Zentralregierung. Allein am Sonntag wurden über ein Dutzend solcher erlassen: So hat Peking etwa den Start des kommenden Sommersemesters für sämtliche Schulen und Universitäten auf unbestimmte Zeit verschoben. Die südchinesische Provinz Guangdong hat eine Atemschutzmasken-Pflicht für all seine Bürger im öffentlichen Raum eingeführt. Sämtliche Gruppenreisen von Ausländern ins Land wurden gestoppt. Die Zentralregierung hat zudem den Handel von Wildtieren verboten, schließlich soll der Erreger auf einem Markt für exotische Tiere in Wuhan stammen.

Dort ist das öffentliche Leben praktisch zum Erliegen gekommen. Die 11-Millionen-Metropole hat am Sonntag nun auch sämtlichen Autoverkehr auf den Straßen verboten. Das US-Konsulat in Wuhan hat unterdessen die Evakuierung seiner Angestellten sowie einer begrenzten Anzahl an Zivilisten für Dienstag angekündigt. Auch die Regierungen in Japan, Russland und Frankreich planen die Evakuierung ihrer Staatsbürger aus der sechstgrößten Stadt des Landes.

Die Lage der medizinischen Versorgung vor Ort ist prekär. Das belegen Videos, die in den sozialen Netzwerken kursieren. Darauf zu sehen sind überfüllte Notaufnahmen, in denen Krankenschwestern verzweifelte Menschen nach Hause schicken müssen. In einem von Patienten gefilmten Video schreit ein Arzt in ein Telefon-Headset: »Feuern Sie mich einfach!« Laut offiziellen Angaben haben sich mindestens 15 Mediziner in Wuhan mit dem Coronavirus angesteckt, ein Arzt ist bereits verstorben. Die Dunkelziffer liege jedoch viel höher, erzählte ein Arzt der Hongkonger Zeitung »South China Morning Post«. Demnach seien die Spitalangestellten ursprünglich nicht darüber informiert worden, dass sich das Virus auch über menschlichen Kontakt verbreiten könne. Zudem fehlten Schutzausrüstung und Testkits.

Die Behörden arbeiten unter Hochdruck daran, den Ansturm der Patienten zu bewältigen. In wenigen Tagen soll in Wuhan ein riesiges neues Spital mit über 1000 Betten bereitstehen. Am Samstag beschloss die Gesundheitskommission in Peking, über 1200 Experten in die Stadt zu entsenden und 24 allgemeine Spitäler nur zur Virusbekämpfung umzufunktionieren.

In sozialen Netzwerken berichten Leute in Wuhan und der umliegenden Provinz Hubei von leeren Ladenregalen und Preisaufschlägen. Eine Nutzerin auf Twitter etwa postete Fotos von einem Gemüseladen, der nur mehr vereinzelte Salatköpfe führte, für umgerechnet fünf Euro das Stück.

Auch im asiatischen Ausland reagieren die Leute hysterisch. In Südkorea ruft etwa eine Petition auf der Präsidenten-Webseite dazu auf, »chinesische Staatsbürger aus unserem Land zu verbannen«. Nach vier Tagen hat die Initiative bereits über 285 000 Unterschriften gesammelt - obwohl zwei der insgesamt drei Infizierten im Land auch südkoreanische Staatsbürger sind. In Hongkong fordern ebenfalls immer mehr Bürger, die Grenzen zu Festlandchina zu schließen.

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