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Löcher im Teppich
Wie geht die LINKE mit den bevorstehenden Räumungen linker Projekte um?
Die Stadt gehört euch!«, versprach die LINKE vollmundig im Wahlkampf 2016. Stadtentwicklung für Einwohner*innen statt für Investor*innen, Verhinderung von Zwangsräumungen - das Wahlprogramm schürte hohe Erwartungen an eine solidarische Stadt von unten. Dreieinhalb Jahre später ist die LINKE an der Regierung und von ihrem eigenen Anspruch weit entfernt: Am Donnerstag verhandelte das Landgericht Berlin die Räumungsklage gegen das linke Hausprojekt »Liebig34« in Friedrichshain. Ende April soll das Urteil verkündet werden, eine Räumung ist wahrscheinlich. Bereits im November hatte die seit 30 Jahren bestehende Neuköllner Kiezkneipe »Syndikat« einen Räumungstitel erhalten, dasselbe Schicksal droht der Kreuzberger Kollektivkneipe »Meuterei« sowie dem ältesten selbstverwalteten Jugendzentrum »Potse« in Schöneberg. Rot-Rot-Grün droht als die Regierung in die Geschichte einzugehen, unter der ein Teil der selbstverwalteten Projekte auf die Straße gesetzt wurde.
Kein Schutz für Gewerbe
Die LINKE bringt das in ein Dilemma. Zwar würde sie die bedrohten Projekte gerne retten, sieht sich aber die Hände gebunden: »Wir können nicht einfach zum Zweck des Allgemeinwohls die Häuser beschlagnahmen«, sagt Landesvorsitzende Katina Schubert dem »nd«. Solange sich die Immobilien der selbstverwalteten Projekte in Privatbesitz befinden, könne die Politik nicht viel tun, außer mit den Eigentümer*innen zu verhandeln und Ersatzobjekte zu suchen - wie im Fall der »Liebig34 «und der »Potse« vergeblich geschehen. Bei der Verdrängung von selbstverwalteten Häusern, Kneipen und Kultureinrichtungen gilt zudem häufig - so auch bei der »Meuterei« und dem »Syndikat« - das Gewerbemietrecht, das kaum Schutz vor Kündigung bietet. Da es sich dabei um Bundesrecht handle, habe Berlin hier keine Handhabe, erklärt Schubert. »Zumindest ist uns da noch kein Kniff eingefallen.« Eine im vergangenen Sommer vom rot-rot-grünen Senat eingebrachte Bundesratsinitiative zur Begrenzung von Gewerbemieten hatte zwar eine breite Mehrheit erhalten, passiert ist seitdem allerdings nichts. Die Linksfraktion im Bundestag hat daher einen Antrag zum Schutz von Kleingewerbe gestellt, der am Donnerstagnachmittag in die erste Lesung ging.
Und wie sieht es beim versprochenen Schutz vor Zwangsräumungen aus? Hier verweist die LINKE auf den Koalitionspartner SPD. »Wir tun, was wir können, aber wir regieren halt nicht alleine«, sagt Schubert. Es klingt resigniert. So setzt sich die Linkspartei für die Abschaffung der Berliner Linie ein, die vorsieht, besetzte Häuser binnen 24 Stunden zu räumen, und schlägt stattdessen das Züricher Modell vor. In Zürich ist die Voraussetzung für eine Räumung der Nachweis einer Nachnutzung des Gebäudes, ansonsten muss die Besetzung geduldet werden. Bei den Grünen gebe es dafür zwar Unterstützung, »aber das ist mit der SPD nicht machbar«, sagt Schubert. »Das ist schon frustrierend. Man ist ein Stück weit machtlos.«
Eine Taskforce soll es richten
Die stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Katalin Gennburg, will das nicht einfach so hinnehmen. »Es gab in jedem Einzelfall viele Bemühungen«, sagt die Abgeordnete mit Blick auf die bedrohten Projekte. Das reiche jedoch nicht aus. »Die Situation erfordert drastische Maßnahmen«, sagt Gennburg. Die Stadtentwicklungsexpertin könnte sich durchaus »Verwaltungstricks« wie etwa Beschlagnahmungen vorstellen. »Wenn alle mit vereinten Kräften nach Lösungen suchen, findet man auch welche«, ist sie überzeugt. In ihren Augen braucht es nun eine ressortübergreifende Taskforce, die sich des Problems annimmt. »Wir müssen alles dafür tun, die Räumungen dieser Projekte zu verhindern.« Das Thema müsse jetzt Chefsache werden, fordert Gennburg in Richtung des (noch) Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD). »Auch die SPD muss sich fragen, ob sie für Spekulanten räumen will.«
Im Senat gibt man sich da verhaltener. So äußern LINKE-Politiker*innen wie Kultursenator Klaus Lederer und Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher zwar »große Sympathie« für die Initiative »Kein Haus weniger«, die gegen die Verdrängung alternativer Hausprojekte Widerstand angekündigt hat. Die Forderungen des Bündnisses nach einem Bestandsschutz für soziale und kulturelle Projekte und einer Aussetzung von Zwangsräumungen erfährt derzeit breite und prominente Unterstützung aus der Kunst- und Kulturszene.
Von einer konzertierten Aktion, die bedrohten Projekte zu retten, ist dort allerdings keine Rede. »Der Verdrängungsdruck bedroht die kulturelle Vielfalt in der Stadt«, räumt Lederer ein. Diese Gefahr abzuwenden sei auch sein Anliegen. »Aber wir leben nicht mehr in den 90er-Jahren, als sich jeder einfach in den existierenden Raum reingesetzt, und sein Projekt begonnen hat. Inzwischen steht die Stadt unter einem hohen Inwertsetzungsdruck.« Ähnlich äußert man sich im Hause Lompscher: »Die Landesregierung kann diesen Prozess nur begrenzt beeinflussen, versucht dies aber immer wieder«, heißt es aus der Stadtentwicklungsverwaltung.
Die Basis macht Druck
An der Basis löst diese Entwicklung immer größeren Unmut aus. »Es gibt bei uns allen eine große Unzufriedenheit«, sagt Parteichefin Schubert. »Es ist die eigene Stadt und die können wir nicht gestalten, weil das Recht so ist, wie es ist.« »Der Druck ist enorm hoch«, bestätigt Gennburg. »Die Projekte wurden lange genug alleingelassen«, findet sie. Die Unterstützung der linksradikalen Projekte durch die »bürgerliche Elite« aus dem Kulturbereich sei daher enorm wichtig. Nun brauche es einen wirksamen Schutz durch die Politik, wie ihn etwa Mieter*innen durch den am Donnerstag beschlossenen Mietendeckel erfahren. »Wer glaubt, sich angesichts eines zeitlich befristeten Mietendeckels nun zurücklehnen zu können, wenn soziale Institutionen oder Einzelpersonen ihr Zuhause verlieren, macht sich mitschuldig«, heißt es seitens »Kein Haus weniger«.
»Unser Regierungsauftrag ist es, systematisch Löcher in den Verwertungsteppich zu schneiden«, sagt Gennburg. Die LINKE wird sich bei den Abgeordnetenhauswahlen im nächsten Jahr daran messen lassen müssen, ob ihr das nicht nur bei den Wohnungsmieten, sondern auch bei den unkommerziellen Haus- und Kulturprojekten gelungen ist. Zurzeit sieht es eher danach aus, als ob es die Investor*innen sind, die Löcher in den politischen und kulturellen Teppich dieser Stadt schneiden.
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