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Einfach alles umlügen

BEST OF MENSCHHEIT: Tim Wolff nimmt sich in dieser Woche die »Politische Korrektheit« vor

  • Tim Wolff
  • Lesedauer: 3 Min.

Mit das Beste, was die Menschheit an Schlagwörtern in den letzten 30 Jahren gefunden hat, ist eines, das etwas eigentlich gar nicht Existentes beschreibt: »politische Korrektheit«. Aber sobald jemand diese Formulierung verwendet, weiß man wenigstens: Was immer da erzählt wird, ist nicht bemerkenswert.

Denn diese Wortkombination kann niemand bei vollem Verstand ernsthaft nutzen. Das Politische ist Verhandlungssache, Korrektheit ist binär. Wer beides kombiniert und also Fakten zur Verhandlungssache erklärt, kann es nur ironisch oder diffamierend meinen. Political correctness ist die etwas elegantere Vorstufe zu Trumps »Fake News«-Geheul und Teil der neuerdings sogar ein paar bürgerlichen Journalisten ein wenig suspekten Totalitarismus- bzw. Hufeisentheorie, mit dem Harmlosigkeiten zu diktatorischen Linksextremen umgelogen werden.

Aller Wahrscheinlichkeit nach stammt der Begriff aus dem Umfeld US-amerikanischer Kommunisten (ja, so etwas gibt es auch), die ihn in den achtziger Jahren verspottend für besonders linien-, also moskautreue Genossen verwendeten. Dass »political correctness« dann mit dem Ende der Sowjetunion eine steile internationale Karriere machte, war kein zeitlicher Zufall, sondern lag daran, dass damit und mit der Verspottung politischer Ansprüche die nun objektlos gewordenen Red-scare-Taktiken übers berühmte Ende der Geschichte hinausgerettet werden konnten. Denn es gibt keine Freiheit im Kapitalismus ohne die Klage über die echte oder vermeintliche Unfreiheit, die seine Gegner angeblich anstreben. Da es aber keine ernsthaften Gegner des Kapitalismus mehr gibt, wird mit der Rede von »politischer Korrektheit« diffamiert, was nichts anderes als Politik im Wesentlichen ist: der Kampf um Repräsentation und Mitsprache. Und zwar der Kampf derjenigen, die in den nationalen Marktgesellschaften Verlierer bleiben sollen: Frauen, Homosexuelle, Rassifizierte, Zugezogene usw. »Politische Korrektheit« fasst die Ansprüche dieser »anderen« zusammen und versucht sie zu einem Witz zu machen, und jeden der »eigenen«, der Empathie aufbringt, zu einer Witzfigur. Dabei gibt es diese Homogenität nicht, sondern nur auf verschiedene Art Diskriminierte und Marginalisierte, die im besten Falle auch mal gemeinsam kämpfen. Wie dumm und menschenfeindlich das PC-Gerede ist, erkennt man allein schon daran, wer sich mit dem Gegenteil, dem Unkorrekten (nebenbei: Weshalb zur Hölle möchte man je unkorrekt sein?), identifiziert: allesamt Teilhaber an restaurativen, völkischen Reinheitsfantasien oder rücksichtslose Spaßhaber.

Nun könnte manch einer fragen: Aber warum schreibt so was ein ehemaliger Chefredakteur des Satiremagazins »Titanic«, in dem doch auch immer so herrlich unkorrekte Witze stehen? Weil diese Witze nicht »unkorrekt« sein wollen, sondern das herrschende Falsche aufmischen. Und mit wie viel Ambivalenz bzw. politischer und moralischer Eindeutigkeit dabei vorzugehen ist, ist Teil einer Auseinandersetzung, die sich leicht als »politisch korrekt« herabsetzen lässt, weil sie mit Herkunft zu tun hat. Denn sich dem herrschenden Hass mit Sarkasmus oder anderen satirisch-komischen Mitteln zu entziehen, kann leicht, wer diesem nicht ständig ausgesetzt ist. Die gute Absicht ist kein hinreichender Anlass, um über allem zu schweben. Das sollten gerade Satiriker wissen. Aber ohnehin sollte niemand so etwas wollen. Denn es ist das Ziel der Nutzer der »politischen Korrektheit«: die Selbstverständlichkeit zu verteidigen, sich über andere erheben und sogar noch darüber urteilen zu dürfen, was die Herabgesetzten davon zu halten haben.

Und so ist »politische Korrektheit« auch ein hervorragender Marker dafür, ob die Menschheit in ihrem Finale echter Freiheit noch mal für ein paar Momente nahekommt: Denn je öfter dieser Arschlochbegriff auftaucht, desto größer ist die Bedrohung für die Falschen und der mühsame Fortschritt für die Gesamtheit. Danke, politische Korrektheit, dafür.

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