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Kurz vorm Urnengang bestimmt noch einmal die Klimapolitik den Wahlkampf
Von Stockholm nach Hamburg: Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg spricht am Freitag bei der Demonstration »Hamburg wählt Klima« vor vermutlich Zehntausenden Menschen, die sich ab 14 Uhr auf dem Heiligengeistfeld versammeln werden. Zwei Tage vor der Bürgerschaftswahl an Alster und Elbe fordern neben der Fridays-for-Future-Bewegung gut zwei Dutzend weitere Organisationen entschlossenes Handeln beim Klimaschutz und die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens.
Aus Stockholm nach Hamburg kam im Dezember 2010 auch der neu geschaffene Titel der »Umwelthauptstadt Europas«, den die Hansestadt 2011 nach der schwedischen Hauptstadt als zweite Stadt überhaupt trug. Nicht unumstritten, denn weil Hamburg sich Projekte von Siemens sponsern ließ, zog sich der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) damals frühzeitig zurück. Auch heute kritisiert der BUND die Umweltpolitik des seit fünf Jahren amtierenden rot-grünen Senats, der die Klimaneutralität der Hansestadt bis 2050 erreichen will.
»Rot-Grün hat gegenüber der Umwelt nicht Wort gehalten«, sagt BUND-Landesgeschäftsführer Manfred Braasch. Die CO2-Emissionen lägen deutlich über den notwendigen Einsparzielen, der Luftreinhalteplan wirke nicht gegen gesundheitsgefährdende Stickoxide und die Stadt plane weiterhin die Bebauung von Landschaftsschutzgebieten und Grünachsen. Allein die vor einem Jahr vollzogene Rekommunalisierung des Gas- und Fernwärmenetzes sowie die verstärkte Pflanzung von Straßenbäumen finden den Beifall des BUND. »Vor dem Hintergrund der Klimakrise erwarten wir, dass nach der Wahl mindestens drei Schippen draufgelegt werden«, so Braasch.
Schon vor der Wahl beschloss die Bürgerschaft in der vergangenen Woche, die »Verantwortung für die Begrenzung der Erderwärmung« in die Präambel der Hamburgischen Verfassung aufzunehmen. Parallel verabschiedeten die Parlamentarier nach den Worten des grünen Umweltsenators Jens Kerstan das »anspruchsvollste und weitreichendste Klimaschutzgesetz Deutschland«. Durch Maßnahmen wie den Kohleausstieg, den Ausbau von Fahrradwegen und dem öffentlichen Nahverkehr sowie die Verpflichtung zu Solardächern bei Neubauten ab 2023 sollen bis 2030 die CO2-Emissionen auf höchstens 45 Prozent des Stands von 1990 abgesenkt werden.
»Ich spüre die Ungeduld«, sagte Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) bei einer Diskussion mit Fridays-for-Future-Vertretern. Denn vielen gehen die Maßnahmen nicht schnell oder nicht weit genug. »Das Gesetz geht in die richtige Richtung, aber es reicht nicht, um die Klimaziele von Paris umzusetzen«, kritisierte der Linken-Abgeordnete Stephan Jersch in der Bürgerschaft und mutmaßte: »Der Stift ist bei der Formulierung zu früh aus der Hand gefallen.«
Jersch missfiel vor allem, dass »blauäugig« auf freiwillige Beschränkungen der Industrie gesetzt und soziale Gerechtigkeit bei den Klimaschutzmaßnahmen kaum mitgedacht werde. Sein Resümee: »Da scheint viel zu viel grüner Kapitalismus durch.« Auch Cansu Özdemir mahnte: »Wer es ernst meint mit Klimaschutz, der muss sich mit Konzernen anlegen.« Die Linken-Spitzenkandidatin schlug jüngst eine Arbeitgeberabgabe vor, mit der ein kostenloser öffentlicher Nahverkehr weitgehend finanziert werden könnte. »Die Kosten der Klimarettung müssen von denen getragen werden, die über Jahrzehnte hinweg gigantische Profite auf Kosten des Klimas gescheffelt haben und dies noch immer tun«, heißt es im Wahlprogramm der Linken.
Wo die einen mehr wollen, treten andere auf die Bremse - oder versuchen es zumindest. »Klimaschutz kann nur erfolgreich sein, wenn er die Gesellschaft nicht spaltet, sondern die Menschen mitnimmt und unseren Wohlstand erhält«, erklärte der CDU-Umweltpolitiker Stephan Gamm und kritisierte den rot-grünen Klimaplan: »Allen Maßnahmen ist gemein, dass nichts wirklich durchdacht und ausformuliert wurde. Einzig die Verteuerungen für das Wohnen und Leben in Hamburg sind als Konsequenz aus den zahlreichen Verboten und Zwängen erkennbar.«
Die Demonstration auf dem Heiligengeistfeld weist zwar über Hamburg hinaus, markiert aber auch den Versuch, Umweltschutz quasi in letzter Minute noch zum Hauptwahlkampfthema zu machen. In den vergangenen Wochen wurde in Hamburg eher um Verkehrs- und Wohnungspolitik gestritten - die Klimawelle Ende 2019, die der grünen Spitzenkandidatin Katharina Fegebank zeitweilig gute Chancen gab, zur erste Bürgermeisterin der Elbmetropole gewählt zu werden, ist zuletzt abgeebbt.
Da selbst auf der Titanic ein Orchester spielte, darf auch in Hamburg Musik nicht fehlen. Die lokalen Hip-Hopper Fettes Brot geben auf der Demonstration ein Gratiskonzert. In ihrer Hamburg-Version des The-Clash-Klassikers »London Calling« heißt es: »Die Eiszeit wird kommen, die Sonne ist am Brennen, die Umwelt ist verpestet, die Felder überschwemmt. Maschinen verstummen, nichts hält uns mehr hier: Hamburg geht unter und wir fahren die Elbe runter.« Vorher wird aber noch gewählt.
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