Petersburger Schlittenfahrt

Der von einem Merseburger 1886 komponierte älteste deutsche Schlager ist bis heute populär

  • Klaus Fischer
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein Ohrwurm zählt seit über 130 Jahren zu den beliebtesten deutschen Schlagern - die »Petersburger Schlittenfahrt«. Das flotte Orchestermusikstück schrieb Richard Eilenberg, der in Merseburg geboren wurde. Seinen Galopp schuf der Komponist 1886 - das Werk ist damit der älteste verzeichnete Titel im »Lexikon des deutschen Schlagers«.

Richard Eilenberg war am 13. Januar 1848 geboren worden. Er lernte Klavierspielen, studierte Komposition. Konzertreisen führten ihn durch halb Europa. Daraus ergab sich offenbar eine Einladung des Zaren nach Russland. Eilenberg wurde beauftragt, den Krönungsmarsch zur Feier der Inthronisierung des Kaisers Alexander III. von Russland zu komponieren. Das Werk erklang pünktlich zur Krönungsfeierlichkeit 1883 in Moskau.

Fortan weilte der Komponist oftmals an Moskwa wie Newa, wo er im russischen Winter wohl auch zu seinem Opus 57, »Petersburger Schlittenfahrt«, angeregt wurde. Dieser Klassiker ist bis heute Standard im Repertoire der Unterhaltungsmusiker. Eilenbergs zweiter Hit war »Die Mühle im Schwarzwald« (1890).

Man nannte solche Themenmusiken mit bildhaften Titeln damals Salon- oder Charakterstück. Das beeindruckende Sankt Petersburg am Finnischen Meerbusen inspirierte sogar den Wiener Walzerkönig Johann Strauss zu einem »Abschied von St. Petersburg«.

Richard Eilenbergs Werkeverzeichnis zählt rund 350 Kompositionen, darunter Militärmärsche, Operetten, Ballett und »Harmoniemusiken«. Ab 1889 lebte er in Berlin, wo er am 5. Dezember 1927 starb.

Die jüngste Fassung der »Petersburger Schlittenfahrt« ist dem MDR-Fernsehen zu verdanken, wo 2013 der klingende Schlitten wieder in die Spur gesetzt wurde: mit Inka und Lippi im Gesangsduett-Galopp von der Saale an die Newa! Man kann die Reise mit Inka Bause und Wolfgang Lippert in üppiger TV-Gestaltung nun jederzeit bei Youtube erleben.

Als Redakteur und Autor der Fernsehunterhaltung hatte ich mir, angeregt durch einen verschneiten, eisigen Berliner Winter, einen humorvollen, kuriosen Text zu Eilenbergs Salonorchesterwerk ausgedacht. In dem geht es mit zeitbezogenem Augenzwinkern um eine umweltfreundliche Schlittenfahrt von Ostdeutschland nach Nordrussland: »Hallo, stellt den Wodka kalt - Petersburg, wir kommen bald!«

Eilenbergs Winter-Suite mit Peitschenknall und Glöckchenklang ist kein klassisches Lied mit Strophen und Refrain. Die Musik galoppiert teilweise in Sechzehntelnoten mit wechselnden Melodien und Tempi über die Tonleiter. Für alle Beteiligten vor und hinter der Kamera war diese Präsentation in einer Weihnachtssendung vor begeisterten Zuschauern eine schwere wie zugleich schöne Aufgabe.

Mich regte diese Arbeit an - nach mehreren Besuchen in Moskau seit 1980 - nun endlich einmal nach Sankt Petersburg zu reisen. Auch, weil ich die Ostseemetropole kennenlernen wollte, die von 1941 bis 1944 fast 900 Tage und Nächte der von der deutschen NS-Führung befohlenen Belagerung durch die Wehrmacht tapfer unter großen Opfern standgehalten hatte - die Heldenstadt, der Dmitri Schostakowitsch mit seiner damals entstandenen »Leningrader Sinfonie« ein musikalisches Denkmal setzte.

Viele deutsche Veranstalter bieten heute Reisen nach Sankt Petersburg an, meist gekoppelt mit einem Besuch Moskaus. Jedoch findet in den Programmen der Reisebüros die sowjetische Heldenstadt kaum statt. Die Besucher werden vor allem mit historischem Prunk, Blattgold, Bernstein, Fontänen, Kultur und Kunst überhäuft. Erst auf Bitten unserer Reisegruppe hielten wir auch am beeindruckenden Erinnerungsdenkmal für die Verteidiger Leningrads am Platz des Sieges. Die russische Reiseleiterin erwähnte dabei, dass viele Einheimische ihre Stadt achtungsvoll und aus Gewohnheit weiterhin kurz Leningrad nennen.

Der geschichtsträchtige Ort an der Ostsee zog schon immer große schöpferische Geister an. Überrascht waren wir, als wir auf dem Tichwiner Friedhof vor den nebeneinanderliegenden Grabmalen von Michail Glinka, Nikolai Rimski-Korsakow, Modest Mussorgski, Alexander Borodin und Pjotr Tschaikowski standen - Russlands bedeutendste Komponisten des 19. Jahrhunderts vereint. Später besuchten wir in Moskau auch noch das Grab von Schostakowitsch.

Seit jeher finden Schlittenfahrten in und um Sankt Petersburg/Petrograd/Leningrad statt - für die Einheimischen wie die Touristen. Einmal dahingleiten wie einst die Zaren, wie Potjomkin, Rasputin, Puschkin, Repin, Lenin, Stalin, Granin, Mitschurin, Bulganin, Gagarin, Schilkin, Putin.

Wieder zu Hause, haben wir das Grab von Richard Eilenberg auf dem Südwestfriedhof in Stahnsdorf bei Berlin besucht - im Ohr seinen Schlager »Petersburger Schlittenfahrt«.

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