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Statistikkamelle fürs Volk
Vanessa Fischer gruselt sich vor Scheinkorrelationen
Mit dem Internet ist es wie mit einem Geisterhaus. Man weiß, dass es dort spukt, und geht trotzdem rein. Einmal drin, trifft man auf einen Hass-Post nach dem anderen. Man fragt sich, was nur passiert ist mit »dem Internet«, jenem weltweiten Verbund von Rechnernetzwerken, der bis vor Kurzem noch als das Demokratie-Instrument Numero uno gehypt wurde (Stichwort: Arabischer Frühling). Plötzlich soll es an allem Bösen schuld sein. Ein spektakulärer Abstieg.
Nun will das Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin auch noch herausgefunden haben, dass schnellere Internetverbindung und Wahlerfolge »populistischer Parteien« zusammenhängen: Wo in Italien und Deutschland seit 2017 Breitbandverbindungen geschaffen wurden, wählten die Menschen öfter als zuvor Parteien wie die AfD oder die »Fünf Sterne«. Das Netz ist also schuld. Mal wieder. Glaubt man dem Ergebnis, so kann es jedenfalls nur eine Konsequenz geben: Die Verbindung wird verlangsamt - und tadaaa, das Internet ist wieder gut, und das Problem mit der AfD ist auch gelöst. So einfach. Tatsächlich?
Zunächst riecht das Ganze auch nach einem klassischen Fehler: nach der Verwechslung von Korrelation und Kausalität, also von Wechsel- und Wirkbeziehung. Das ist die Art von Statistik-Dadaismus, über die jüngst eine satirische »Studie« zum Zusammenhang zwischen »Brexit« und der Verbreitung des »Rinderwahnsinns« aufklären wollte: Dass sich BSE- und Brexit-Häufungen regional oft deckten, verweist bei Licht betrachtet nur darauf, dass auf dem Land konservativere Einstellungen herrschen.
Doch der Standardfehler ist weit verbreitet - und beileibe nicht immer lustig, wie Richard Herrnstein und Charles Murray 1994 in ihrem Buch »The Bell Curve« zeigten. Darin behaupteten die Autoren, der mittlere »Intelligenzquotient« für Schwarze sei genetisch bedingt niedriger als der weißer Menschen. Und missachteten dabei, dass der kausale Zusammenhang des messbar niedrigeren IQ natürlich nicht von irgendwelchen Erbeigenschaften zeugt, sondern in der gesellschaftlichen Benachteiligung liegt, die Schwarze in den USA über Jahrhunderte erfahren haben und bis heute erfahren. In Deutschland operiert Thilo Sarrazin mit dieser rassistischen Masche.
Eingangs erwähnte Studie betont nun ausdrücklich, jener Zusammenhang zwischen »Populismus« und Breitbandausbau sei nach wissenschaftlichen Regeln tatsächlich »kausal«. Glauben wir das einmal - und sehen wir über jenen Methoden-Bock hinweg, den das WZB jüngst schoss, als es aufgrund eines Äpfel-Birnen-Vergleichs in der Kriminalstatistik Berlin zur internationalen »Mord-Hauptstadt« ausrief. Dann bleibt noch immer das Erkenntnisinteresse der Studie zu hinterfragen - und damit die Relevanz ihres Ergebnisses. Bei dem Rechtsruck spielen neben der schnelleren Internetverbindung ganz gewiss noch viele weitere Faktoren eine Rolle. Denn: Ganz egal, wie schnell wir mit dem menschenfeindlichen Müll zugeballert werden - wir müssen ihn auch glauben.
Was das Gruselhaus angeht: Einmal gerufen, würden die Geister dort wohl auch nach einem Abriss noch lange weiterspuken.
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