- Politik
- Haldenwang in Wuppertal
»Das Vertrauen wurde zerstört«
Der Verfassungsschutzchef hatte auf eine Imagepolitur gehofft. Sein Publikum erreicht er nicht.
Ein Besuch des Verfassungsschutzchefs Haldenwang sorgte in Wuppertal für Proteste. Dass der evangelische Kirchenkreis Wuppertal die Ausstellung »Opfer rechter Gewalt seit 1990« der Berliner Künstlerin Rebecca Forner zeigt, finden viele gut, die am Mittwochabend vor der City Kirche stehen und protestieren.
Was nicht gefällt: im Rahmenprogramm soll der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, auftreten. Es soll um die »Neuausrichtung des Bundesverfassungsschutzes im Kampf gegen den Rechtsextremismus« gehen. Immerhin darf Haldenwang keinen Frontalunterricht erteilen. Als Kritiker wurde ihm Mehmet Gürcan Daimagüler zur Seite gestellt.
Daimagüler wurde »nachnominiert«, kritisieren die Verfassungsschutzgegner. Das sei so nicht richtig, sagt ein Vertreter des Kirchenkreises, denn sei von Anfang an geplant gewesen, dem Verfassungsschützer einen Kritiker gegenüber zu setzen.
Proteste auf dem Kirchplatz
Lukas Roehm, steht zusammen mit 80 anderen Demonstrant*innen vor der Kirche. »Keine Bühne für den Verfassungsschutzpräsidenten« ist das Motto der Kundgebung. »Eigentlich müssten hier Staatsanwaltschaft und Polizei vorbeikommen und Haldenwang verhaften«, sagt Roehm. Der Verfassungsschutz sei »Mittäter« bei so vielen Naziverbrechen. Die Opfer sollten im Mittelpunkt stehen und nicht ein Geheimdienst der rechte Strukturen massiv mit aufgebaut hätte.
Roehm spricht über das benachbarte Solingen. 1993 starben dort bei einem Brandanschlag fünf Menschen. »Der VS hat dort mit einer Karateschule Infrastruktur für die Täter aufgebaut.« Das sei typisch für den Verfassungsschutz, »die wollen Strukturen infiltrieren und welche Auswirkungen das hat, ist ihnen egal«, so Roehm. Die problematische Geschichte des Verfassungsschutz sei gefüllt mit schlimmen Verstrickungen. »1968 haben linke Antisemiten einen Anschlag auf die Jüdische Gemeinde in Berlin verübt, die Bombe kam vom Verfassungsschutz«.
Auch beim Breitscheidplatz Attentäter Anis Amri habe der Verfassungschutz V-Männer im Umfeld gehabt und der NSU sei vom Verfassungsschutz »umstellt« gewesen. Lukas Roehm ist sich sicher: »Die überblicken nicht, was sie mit ihrem V-Mann-System anrichten.«
Geläuterter Geheimdienstchef?
Drinnen in der Kirche spricht der Verfassungsschutzpräsident auch über V-Leute. Da seien schlimme Fehler gemacht worden. Aber jetzt habe man ein »völlig neues Regelwerk« für den Einsatz von V-Leuten. Thomas Haldenwang gibt sich als geläuterter Geheimdienstchef. Bevor er den Verfassungsschutz vorstellt, verliest er die Namen der Opfer von Hanau und bittet um eine Schweigeminute.
Danach spricht er über seine Behörde, gibt sich selbstkritisch. Wenn der Verfassungsschutz »in Teilen« anders agiert hätte, wären einige Taten wohl verhindert worden. Der Verfassungsschutz habe sich aber geändert. Das ist Haldenwangs Botschaft, die sich durch den Abend zieht. Man sei jetzt transparenter, die Rechte des parlamentarischen Kontrollgremiums seien gestärkt worden und gegen rechte Vorfälle im VS und anderen Behörden gehe man vor.
Risse bekommt die Darstellung von Haldenwang immer wieder, wenn Mehmet Gürcan Daimagüler spricht. Der Verfassungsschutz tue so, als sei rassistische Gewalt ein neues Problem. Und er habe nur die organisierte Rechte im Blick. Dabei gäbe es ganz normale Leute, die Rassisten sind.
V-Leute-System sorgt für Erklärungsnot
Auch Daimagüler spricht über das V-Leute-System und bringt zahlreiche Beispiele aus dem NSU-Komplex, in dem er eine Opferfamilie anwaltlich vertreten hat. Haldenwang gerät dabei in Erklärungsnöte, wird defensiv. »In einer Demokratie braucht der Geheimdienst Vertrauen. Dieses Vertrauen wurde zerstört!« wirft Daimagüler vor und fügt nachdenklich an: »Und ich glaube nicht, dass sie aus dem NSU gelernt haben.« Haldenwang will das Vertrauen, durch »aktives Handeln« wieder aufbauen. Das dürfte schwierig werden.
Die Rufe der Demonstrant*innen auf dem Kirchplatz »Staat und Nazis Hand in Hand – Unsere Antwort Widerstand!« sind drinnen ebenso deutlich zu vernehmen, wie die Skepsis in den Fragen, die das Publikum an Haldenwang richtet. Vertrauen hat der Geheimdienst bei dieser Veranstaltung nicht gewonnen.
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