Der tiefste Punkt

»Wettbewerb«: Der Film »Irradiés«

Starken Tobak gab es zum Abschluss des Berlinale-Wettbewerbs. In seinem 90-minütigen filmischen Essay »Irradiés« (auf Deutsch etwa: »Verstrahlt«) erforscht der kambodschanische, vor den Roten Khmer seinerzeit nach Paris geflohene Künstler und Filmemacher Rithy Panh die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts mit ihrem ungeheuren Blutzoll.

Etwas unterscheidet die Massaker der Neuzeit von denen vergangener Zeiten: Da sind zum einen die Industrialisierung und die kalte Effizienz des Tötens. Zum anderen sind die Massenmorde durch technische Innovationen wie den Film gut dokumentiert. In den Archiven dieser Welt schlummern all die schrecklichen Aufnahmen diverser Kriege und Vernichtungsexzesse. Rithy Panh scheint sie alle gesichtet zu haben, um sie für seinen Film zu verwenden. In epischer Breite und in einem suggestiven Rhythmus - unterstützt durch eine dreigeteilte Leinwand - zeigt sein Essay die Orgien der Zerstörung und physischen sowie psychischen Vernichtung des Menschen, ob im KZ, Labor, Arbeitslager oder Schlachtfeld. Tief dringt er in den Schmerz und das Leid vor, das dieses Jahrhundert der Gewalt, der Ideologien und Katastrophen hervorgerufen hat.

Der Regisseur zeigt sie alle: ob nun die Toten und Überlebenden des Atombombenabwurfs auf Hiroshima, die Opfer des NS-Rassenwahns, des Zweiten Weltkriegs oder des Vietnamkriegs, die Zwangsarbeiter des Gulag, des kambodschanischen Terrorregimes, kurz, all die Opfer der totalitären Raserei. Und immer wieder Leichenberge, Tote, geschundene Körper, zerfetzt, verbrannt, erschossen, verhungert, zu Tode gefoltert, vergast, verwest. Ein Dantesches Inferno an Bildern tut sich auf, immer wieder unterbrochen von Aufnahmen explodierender Atombomben und begleitet von rezitierten Prosatexten.

Leicht macht der Regisseur es dem Zuschauer nicht, ganz im Gegenteil. Nur im letzten Drittel des Films weichen die verstörenden Archivaufnahmen inszenierten, performativen Elementen, die sich zu einer Reflexion über den Schmerz und die menschliche Existenz fügen. Zu Optimismus gibt der Film wirklich keinen Anlass. Unerschöpflich scheinen die Möglichkeiten von Menschen, einander Schmerz und Leid zuzufügen, und warum sollte das in Zukunft anders sein? Oder, wie es in einem der rezitierten Texte heißt: »Ich kenne den tiefsten Punkt auf der Erde - das ist der Mensch«.

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