»Das Asylrecht ist abgeschafft«

Markus Groda von der »Seebrücke«-Bewegung zur Lage an den EU-Außengrenzen

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

Jüngst hatte eine Delegation der Bewegung »Seebrücke« Lesbos besucht. Was haben Sie erlebt?

Die Stimmung war bereits sehr angespannt und eine weitere Eskalation absehbar. Erste Ausschreitungen gab es schon, während unsere Delegation vor Ort war. Im sogenannten Dschungel, dem inoffiziellen Teil des Lagers Moria, sind die Zustände besonders schlimm. Überall spielen Kinder im Dreck. Die Menschen sind dort gefangen, man sieht ihnen die Hoffnungslosigkeit an.

Zur Person

Markus Groda ist Sprecher der »Seebrücke«. Die Initiative ist eine bundesweite Bewegung, die sich für die kommunale Aufnahme von Geflüchteten und sichere Fluchtwege einsetzt. 139 Kommunen in Deutschland haben der Bewegung bereits Bereitschaft signalisiert, zusätzliche Schutzsuchende aufzunehmen.

Gab es etwas besonders Bedrückendes?

Besonders schwer auszuhalten war, dass unsere Mitreisenden allesamt Funktionsträger und Lokalpolitiker sind, die nichts anderes wollen, als zu helfen. Begleiter wie der Oberbürgermeister von Potsdam, Mike Schubert, und der Erste Bürgermeister von Rottenburg, Thomas Weigel, stehen für rund 140 deutsche Städte, die diese Menschen aufnehmen wollen. Sie dürfen aber nicht.

Griechenland hat seine Asylgesetzgebung komplett ausgesetzt, ein Kind soll ertrunken sein. Hat die EU endgültig mit den Menschenrechten gebrochen?

Die EU tritt die Menschenrechte an ihren Außengrenzen schon lange mit Füßen. Was wir jetzt erleben, ist aber eine neue Stufe der widerwärtigen Abschottungspolitik. Das Asylrecht ist faktisch abgeschafft und Tausende schutzbedürftige Menschen werden mit Gewalt am Zugang zu einem fairen Asylverfahren gehindert. Es wäre naiv zu glauben, dass dies nicht auch Auswirkungen auf unsere Gesellschaft haben wird. Ich möchte kein faschistisches Europa, in dem Grundrechte einfach so »ausgesetzt« werden können.

Grundlage für die Abschottung war bisher das EU-Türkei-Abkommen, was nun offenbar nicht mehr aktiv ist. Eine positive Entwicklung?

Grundsätzlich lehnen wir das Abkommen ab. Wir sehen in diesen Tagen aber deutlich, was es für Folgen haben kann, wenn Menschen als Verhandlungsmasse für politische Auseinandersetzungen missbraucht werden. Die Verantwortung für diese Lage ist nicht allein in der Türkei zu suchen, sondern genauso in der EU.

Welche Rolle nehmen die Türkei und Libyen für die Flüchtlingspolitik der Europäischen Union ein?

Beide genannten Staaten werden als Grenzwächter für die Abschottung der EU benutzt. Wir lagern unsere Außengrenzen und die Verantwortung für Tausende Menschen an Regime aus, von denen wir genau wissen, dass dort Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind. Das ist mit europäischen Werten in keiner Weise zu vereinbaren.

Sehen Sie derzeit Lösungsversuche von der EU und Deutschland?

Die EU und die deutsche Regierung unterstützen bisher die Schließung der Grenzen. Die Lage der Menschen wird ignoriert. Dazu versucht man nun, der Türkei die Verantwortung für die Situation zuzuschieben.

Was wäre notwendig?

Griechenland müsste jetzt sofort seine Grenzen öffnen und den Menschen Schutz gewähren. Zeitgleich muss die Umverteilung der Geflüchteten von Griechenland auf andere EU-Länder beginnen. Deutschland sollte hierbei vorangehen und schnell Schutzsuchende aufnehmen.

Viele Anwohner auf Lesbos waren lange solidarisch mit den Geflüchteten. Jetzt gibt es Meldungen über Übergriffe. Warum?

Die Lage auf den Inseln ist schon lange untragbar. Es war eine Frage der Zeit, bis das explodieren musste. Die Mehrheit der Menschen auf Lesbos sorgt sich um die Zukunft der Insel und möchte endlich Lösungen und Solidarität. Die Gewalttaten gegen Geflüchtete, NGOs und Medienvertreter gehen allerdings von einer rechten Minderheit aus.

In Deutschland wettert nicht nur die rechte AfD gegen die Schutzsuchenden. FDP-Chef Christian Lindner forderte die »Reduzierung der Migrationsbewegungen«. Der konservative EU-Politiker Manfred Weber erklärte, dass Griechenland »das einzig Richtige getan« habe, »nämlich die Grenzen zu schließen«.

Beide Aussagen ignorieren die Realität völlig. Diese Menschen fliehen vor Krieg, Verfolgung und Hunger. Die Zustände in den Herkunftsländern zwingen sie zur Flucht. Daran wird übrigens auch kein folgenloses Statement von Bundeskanzlerin Angela Merkel etwas ändern. Es widert mich an, wie angebliche Christdemokraten und Liberale rassistische Politik propagieren.

Was kann die Zivilgesellschaft in dieser Lage machen?

Die Zivilgesellschaft muss dieser Politik entgegentreten und einen humanitären Gegenpol bilden. Wir müssen klar machen, dass es keine demokratische Legitimation für diese Abschottung gibt. Die ersten Spontandemonstrationen finden bereits statt und es werden noch viele weitere folgen.

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