Identitäten
Wassyla Tamzali aus Algerien klagt an
Zehntausende Menschen demonstrierten im März vergangenen Jahres gegen die erneute Kandidatur des 82-jährigen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika. Es kam zu Zusammenstößen mit Sicherheitskräften. Letztlich musste Bouteflika abdanken, Militärs übernahmen das Staatsruder. Zum Jahrestag der »Hirak« genannten Protestbewegung waren Algiers Straßen wieder von einem Menschenmeer überschwemmt. Mehrheitlich junge Algerier*innen forderten ein Ende der Bevormundung durch Obristen. Es ist zu vermuten, dass Wassyla Tamzali unter ihnen oder zumindest im Geiste bei ihnen war.
• Buch im nd-Shop bestellen
Wassyla Tamzali: Eine zornige Frau. Brief aus Algier an die in Europa lebenden Gleichgültigen.
Alibri, 176 S., br., 15 €.
Die 1941 in Béjaïa geborene Juristin und Frauenrechtlerin hat noch das französische Kolonialjoch und den Befreiungskampf erlebt, musste aber später auch entsetzt das Aufflammen islamistischer Gewalt in ihrem Land erfahren. In ihrem neuen Buch hält sie Europa den Spiegel vor, diskutiert Identitäten und Identifikationen. »Der Respekt gegenüber dem Anderen ist keine so einfache Sache«, konstatiert sie eingangs nüchtern. Ihrer Beobachtung nach ist die religiöse Differenz zum Kriterium des Dazugehörens geworden und verwirrt Migrant*innen wie Europäer*innen. Wassyla Tamzali fragt, was aus der Toleranz geworden ist, »dieser schönen und noblen Idee«. Sie ist beunruhigt - nicht nur über zunehmenden Rassismus, auch über die Heuchelei jener, die einerseits die »Versöhnung der Kulturen« feiern, andererseits nicht in ihr Raster passende selbstbewusste Menschen am liebsten aus der politischen Landschaft wegretuschieren möchten. »Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, um von uns zu sprechen und zu sagen, wer wir sind.« Wassyla Tamzali tut es, nennt sich laizistische Feministin, Muslimin und Freidenkerin.
Ihre Themen hier sind das alltägliche Patriarchat wie auch die erotische Funktion des Schleiers, die Amnesie der postmodernen Feministinnen und das »lang andauernde Schluchzen des weißen Mannes«. Dieses Buch ist ein kluger Kommentar zu Kopftuch-Urteilen hierzulande.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.