Auf Droge mit den Klischees durchdrehen

Sehr berauscht: »Schlachthof und Ordnung« von Christoph Höthker

  • Fokke Joel
  • Lesedauer: 5 Min.

Christoph Höhtkers Roman »Schlachthof und Ordnung« beginnt mit einer Redaktionskonferenz. Im Konferenzraum der französischen Illustrierten »Le Miroir« (Der Spiegel) wird ein Text über den Besuch in einer großen Schlachtfabrik diskutiert, den der verschwundene Journalist Marc Troisier geschrieben hat. Darin tritt der gewiefte PR-Manager des Fleischkonzerns auf, der Troisier um den Finger wickelt, indem er alle kritischen Fragen vorwegnimmt. Später stellt sich dieser Manager als Sadist heraus, der »zur Entspannung« in unüberwachten Bereichen des Schlachthofs Schweine und Rinder foltert.

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Christoph Höhtker: Schlachthof und Ordnung.
Weissbooks.w, 416 S., geb., 24 €.

Höthker erzählt auch von einem Terroristen, der ausschließlich im Osten Deutschlands Nazis hinrichtet. Dieser nennt sich Torsten Kray, das ist der Name eines Nazi-Helden. Und dann gibt es da noch einen gewissen Joachim A. Gehrke, dem als »Empfänger staatlicher Transferleistungen« leider das Medikament ausgegangen ist, von dem er abhängig geworden ist. Es heißt »Marom R«, ein Psychopharmakon. Gehrke sitzt im Wartezimmer bei seinem Hausarzt und hofft, an ein neues Rezept für den Nachschub der Glückspillen zu kommen.

»Schlachthof und Ordnung« wird von vielen schillernden Figuren bevölkert. Wenn man sich fragt, was sie verbindet und was diesem Roman, in dem nach und nach alle Protagonisten außer Rand und Band geraten, seine Ordnung gibt, dann ist es die Droge Marom R.

Auch Marc Troisier ist süchtig nach diesen Tabletten, versucht jedoch in einem Ferienhaus am Atlantik, das ihm ausgerechnet der PR-Manager des Fleischkonzerns zur Verfügung stellt, von der Droge loszukommen.

Marom R gehört zur Gruppe der Benzodiazepine und wird hergestellt von einem US-amerikanischen Pharmakonzern namens Winston Chemical. Der Erfolg der Tabletten ist erstaunlich: »Am liebsten würde ich jeden Einzelnen von Ihnen (besonders aber die Forscher und die lieben Versuchstiere) umarmen und herzen«, schreibt Nele Hoffleit, die Schwester von Torsten Kray, an die Firma Winston. »Sie haben mir buchstäblich mein Leben gerettet, viel mehr, Sie haben mir mein Leben geschenkt, zurückgeschenkt.«

Was bei Nele Hoffleit zu Glücksgefühlen führt, treibt ihren ebenfalls von Marom abhängigen, Nazis mordenden Bruder zur Aktion. Eine Pille, die alles kann. Umso schlimmer für Joachim A. Gehrke, der im Wartezimmer von Dr. Gerhard Paul Bunnemann kurz vorm Durchdrehen ist. Bunnemann - das ist das Irritierende an dieser sonst realistisch gezeichneten Figur - ist »übermenschlich alt«, denn er war bereits im Zweiten Weltkrieg an der Ostfront im Einsatz.

Gehrke scheint der Autor eines Textes mit dem Titel »Schlachthof und Ordnung« zu sein, zumindest behauptet er das. Ist das der Text, den die Redaktion von »Le Miroir« diskutiert? Allerdings heißt dieser Text von Marc Troisier »Schlachthof und Ordnung oder Mein letzter Tag als Journalist«. Sicher ist nur, dass das Manuskript unter dem Einfluss von Marom R (oder dem Entzug desselben) entstanden ist.

Unter dem Einfluss der Droge ist Gehrke ein wahrer Springquell von assoziativem Witz. Ihm fällt ein lustiger Vergleich, eine originelle Metapher nach der anderen ein. Allerdings kommt dieser sprachliche Originalitätsbeschuss nicht ohne Kollateralschaden aus. Opfer sind vor allem Frauen und Migranten. Wie der Hass treibt hier die Pille sprachlich den Erzähler zu immer neuen rassistischen und sexistischen Höhepunkten.

Christoph Höhtker hat das politisch Unkorrekte sorgfältig in eine mehrfach gesicherte Rollenprosa gelegt. Nicht er spricht hier, sondern die von ihm erfundenen Figuren. Aber wie ernst kann man unter diesen Umständen die Figur des Dr. Bunnemann nehmen? Zwar steht er für den Leser zunächst unter dem sprachlichen Beschuss von Joachim A. Gehrke, der ihn in seinem beginnenden Entzugswahn als eine Art Übermenschen beschreibt: »Der ist noch vom alten Schrot und Korn. Pünktlichkeit, Anstand, knallharte Schulmedizin. Unbändiger Glaube an die Chemie. Hass auf die Natur.« Bunnemann habe »damals, an den östlichen Fronten … Gedichte mit Wundflüssigkeiten« geschrieben.

Darüber hinaus wird dieser Arzt auch aus der Perspektive seiner verstorbenen Frau geschildert. Ihre Briefe sind zwar kitschig, aber sie wirken gerade deshalb realistisch. Sie überzeugen den Leser von der tiefen Liebe zu ihrem Mann.

Interessanterweise sind diese Eheleute nach dem Krieg zu Friedensaktivisten und Kirchentagsgängern geworden. Insbesondere Hildegard Bunnemann plagt die Frage der Schuld, die sie im »Generalgouvernement, in der Nähe von Krakau« (wo sich Auschwitz befindet) auf sich geladen hat. Doch sie kann, will und möchte mit niemandem darüber sprechen, auch nicht mit ihrem Mann.

Am Ende des Romans mutiert Bunnemann dann endgültig zum Ernst Jünger der Medizin. Zufällig trifft er während seines Urlaubs in Frankreich auf Marc Troisier und gibt ihm ohne Witz und Ironie Ratschläge fürs Leben. In der Marom-Apokalypse sticht Bunnemann als fragwürdiges Vorbild hervor.

Ohne Zweifel, Christoph Höhtker hat sehr viel sprachliche Fantasie. Eine Weile ist sein dystopischer Roman über die Marom-Glückspille durchaus unterhaltsam. Aber da, wo Höhtkers Protagonisten sich wiederholt rassistisch und sexistisch äußern, wird der Roman nervig. Das gilt auch für Stereotypen wie das der männerhassenden Scheidungsanwältin und der soziopathen Edelprostituierten (klar: sie ist Mitglied in einer »absurd feministischen Terrororganisation«), die ihren Crack rauchenden Freier, der der Geschäftsführer von Winston Deutschland ist, ins Jenseits befördert.

Sicher - das alles soll wie auf Droge formuliert wirken, sozusagen durch das Marom bedingt möglichst durchgeknallt. Aber am Ende hat man doch den Eindruck, dass die Rollenprosa dem Autor nur dazu dient, mal selbst politisch unkorrekt die Sau herauszulassen.

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