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Einsamer Kampf im Gerichtssaal
In Athen nähert sich das scheinbar endlose Verfahren gegen die Neonazipartei Goldene Morgenröte seinem Ende
Der Staatsanwältin Adamantia Ekonomou schlug im vergangenen Dezember im Gericht lautstarke Empörung entgegen: »Heute ist Pavlos Fyssas seit 75 Monaten tot. Haben sie beschlossen, ihn heute erneut zu erstechen?«, rief Magda Fyssas, die Mutter des getöteten antifaschistischen Musikers. Auslöser der Empörung war der Antrag, den die Staatsanwältin kurz zuvor im Prozess vor dem Berufsgericht in Athen gegen die Nazipartei Goldene Morgenröte vorgetragen hatte: »Der Anführer der Goldenen Morgenröte, Nikos Michaloliakos, und andere hochrangige Parteifunktionäre sollten vom Vorwurf der Bildung einer kriminellen Organisation freigesprochen werden.«
Für Staatsanwältin Ekonomou mangelt es an Beweisen für die Anschuldigungen gegen die neonazistische Partei, die Staatsanwältin glaubt zudem, dass die Parteiführung selbst keine Verantwortung für die lange Liste der Verbrechen trägt, die in der Anklageschrift aufgezählt sind. Dazu gehört auch der Tod des Musikers Pavlos Fyssas im September 2013. Laut Ekonomou handelte das angeklagte Mitglied der Goldenen Morgenröte, Giorgos Roupakias, auf eigene Faust, als er den Rapper auf offener Straße erstach.
Plädoyers empören Öffentlichkeit
Die Staatsanwältin hat sich auch für weniger schwerwiegende Anklagen gegen neun Parteimitglieder ausgesprochen, denen zwei brutale Angriffe vorgeworfen werden: Im Juni 2012 überfielen Mitglieder der Goldenen Morgenröte vier ägyptische Fischer in ihrer Wohnung im Stadtteil Perama in der Nähe von Piräus. Der Fischer Abouzid Embarak wurde dabei schwer verletzt. 2013 - fünf Tage vor dem Mord an Fyssas - hatten Mitglieder der Goldenen Morgenröte Gewerkschafter der Kommunistischen Partei Griechenlands mit Eisenstangen beim Plakatieren angegriffen und verletzt. Dieser Angriff war organisiert und trug die gleichen Merkmale einer beinahe militärischen Vorbereitung wie der Mord an Fyssas.
Die nun geforderten Freisprüche schockierten die Öffentlichkeit. »Sie machen den Goldene-Morgenröte-Prozess zum Fiasko«, hieß es in den Medien. Und: »Der extreme Vorschlag einer Staatsanwältin«. In den sozialen Medien äußerten die Menschen Unzufriedenheit und Wut. »Kein mörderischer Zweck? Der Mann wurde mit Schlagstöcken angegriffen und aß für das nächste Jahr mit dem Strohhalm«, twitterte ein Nutzer.
Auch auf den Gesichtern der Nebenklageanwälte, die die Opfer der Neonaziverbrechen vertreten, zeigten sich Sorge und Frust. »Ekonomou hat gehandelt, als wenn sie in den letzten Jahren nicht im Gerichtssaal gewesen wäre. Sie hat die Zeugenaussagen von über 150 Zeugen nicht berücksichtigt und hat sich als Verteidigerin der Goldenen Morgenröte herausgestellt«, kommentierte Takis Sapountzakis, Anwalt der kommunistischen Gewerkschaft Pame.
Belauern und Beschimpfen
Das Verfahren gegen die Goldene Morgenröte ist in Griechenland einer der wichtigsten Prozesse gegen eine neonazistische Partei seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Seit April 2015 wurden im Athener Gerichtssaal mehr als 420 Zeug*innen gehört. Tausende Schriftseiten liegen dem Gericht vor. Zugleich wird der Prozess begleitet von einem kontinuierlichen Strom von Zweifeln und politischen Possen. Das griechische Justizsystem hat bisher nichts Vergleichbares erlebt: Zwei spezielle Gerichtssäle wurden für die Zeugenanhörungen eingerichtet, es gibt mehr als 100 Anwält*innen auf beiden Seiten, fünf Richter*innen, zwei Staatsanwält*innen sind beteiligt. Auf zahlreichen reservierten Plätzen verfolgen Journalist*innen das Geschehen für die Öffentlichkeit.
Die Sicherheitsmaßnahmen sind hoch. Besucher*innen müssen sich für eine Seite entscheiden, bevor sie den Gerichtssaal betreten. Bei den öffentlichen Verhandlungen kam es immer wieder zu Spannungen unter den Zuschauern: Lautstarke Beschimpfungen flogen durch den Raum und konnten in plötzliche Gewalt umkippen, die anwesende Bereitschaftspolizei griff ein ums andere Mal zu drastischen Mitteln, darunter auch den Einsatz von Tränengas.
Die angespannte Stimmung findet ihr Vorbild in einer langen Geschichte blutiger Kämpfe zwischen Nazi-Verehrern sowie linken, kommunistischen oder anarchistischen Gruppen in Griechenland. Die Gerichtssäle werden dabei zu einer Manege, in der Antifaschist*innen und Faschist*innen aufeinandertreffen - streng getrennt. Sie beobachten sich unversöhnlich aus der Ferne. Immer wieder - gewöhnlich gegen Ende einer Anhörung - explodiert die Situation. Laute Rufe von beiden Seiten, Flaschen oder andere Gegenstände fliegen, die Polizei greift ein und die Oberste Richterin, Maria Lepenioti, unterbricht das Verfahren. So war es, als der Angriff auf das anarchistische Sozialzentrum Antipnoia verhandelt wurde, oder als der Anführer der Goldenen Morgenröte, Nikos Michaloliakos, seine Aussage machte.
Außerhalb der hohen Mauern des Saales spielt der Prozess nach nunmehr fünf Jahren kaum noch eine Rolle. Die krisengeschüttelte griechische Öffentlichkeit, müde vom sozialen, wirtschaftlichen und politischen Druck, zeigt inzwischen nur noch wenig Interesse. Immer öfter blieben die beiden Gerichtssäle leer: Die 69 Angeklagten der Neonazis kamen nur auf Befehl; linke Politiker*innen kamen, wenn sie auf eine anständige Presseberichterstattung zählen konnten, und nur eine Gruppe von etwa zehn lokalen Journalist*innen überwacht den Prozess hartnäckig.
Magda Fyssas - Ikone der Antifa
»Nach sieben Jahren bin ich immer noch hier im Gerichtssaal und warte darauf, dass sie als kriminelle Organisation verurteilt werden«, sagte Magda Fyssas kürzlich in einem Interview für Greek Lifo. Die Mutter des ermordeten Rappers wurde in Griechenland zu einem Symbol des Kampfes gegen die Neonaziverbrechen. Trotz der ständig neuen Konfrontation mit ihrem schmerzlichen Verlust kommt sie regelmäßig in den Gerichtssaal. Sie beobachtet, äußert ihre Ansichten, und gelegentlich platzt ihr vor Schmerz und Verzweiflung der Kragen. Die Familie Fyssas und ihre Freund*innen, viele von ihnen auch Zeug*innen im Prozess, genießen im Gerichtssaal besonderen Respekt. Aber an der vordersten Front steht immer Magda Fyssas.
»Junge Leute halten mich auf der Straße an und bringen ihre Unterstützung zum Ausdruck. Sie sagen mir, dass sie mich bewundern und mich als ihre Mutter betrachten.« Die Familie Fyssas organisiert jedes Jahr ein Konzert und eine Demonstration zum Gedenken an den verstorbenen Musiker, an der in der Regel einige Tausend Griech*innen teilnehmen. Außerdem nimmt Magda an anderen antifaschistischen Demonstrationen teil, bietet Eltern Unterstützung an, deren Kinder Opfer von Neonaziverbrechen wurden. Wie im Fall einer Studentin, die im April 2017 von Mitgliedern der Goldenen Morgenröte schwer verletzt wurde.
»Magda Fyssas ist eine Person, die, ohne es darauf anzulegen, den Kampf gegen Faschismus, Autoritarismus und Intoleranz stärkt«, sagte der Präsident der MeRA25 und Ex-Finanzminister Yannis Varoufakis. In einer öffentlichen Erklärung kündigte Varoufakis an, dass er Fyssas als Präsidentin des Landes befürworten würde. Sie wehrte sogleich ab, distanziert sich generell von jeglichen politischen Gruppen. Und wird nicht müde zu betonen: Ihr Hauptanliegen sei es, die Mitglieder der Goldenen Morgenröte hinter Gitter zu bringen. Der Mord an ihrem Sohn war das Hauptmotiv für die verantwortlichen Institutionen, mit Verhaftungen zu reagieren, deren Folge der Prozess ist.
Tatsächlich führten die Ermordung von Pavlos Fyssas und die Strafverfolgung zum Untergang der einst größten neonazistischen Partei in Griechenland. Der langsame Zusammenbruch der Goldenen Morgenröte war nicht nur auf den Straßen, auf ihren Versammlungen oder in ihren Büros sichtbar, sondern vor allem im Gerichtssaal. Nach und nach verlor die Neonazipartei ihre anfängliche Popularität - in gleichem Maße, wie der Prozess ihre kriminellen Praktiken aufdeckte und ihre Aktivitäten - gewalttätige Drohungen mit schwerer Körperverletzung, Messerstechereien und Morde - in Video-, Foto- und Audiomaterial an die Oberfläche brachte. Auch Aufnahmen von okkulten Vereidigungszeremonien, entdeckte Waffen- und Drogenlager sowie die streng hierarchische Struktur der Organisation trugen ihren Teil bei, dass die Menschen sich abwandten.
Prozess spaltet Nazipartei
»Die Goldene Morgenröte hatte Mitglieder, aber die Partei wurde streng von ihrem Vorsitzenden Michaloliakos geführt. Er erfuhr vom Mord an Fyssas noch am selben Tag und war darüber sehr aufgebracht«, sagte Nikos Michos, hochrangiger Funktionär der neonazistischen Partei und deren ehemaliger Abgeordneter, während des Prozesses im vergangenen Oktober aus.
Michos’ Aussage war eine der wichtigsten im Prozess, denn sie offenbarte auch die jahrelangen internen Konflikte der Partei. Michos, der die Partei im September 2017 verließ, sprach vor Gericht offen über seine Gründe: »Ich habe mich gefragt, wo das ganze Geld hingeht. Auch die Art und Weise, wie die Partei geführt wurde, gefiel mir nicht.« Seine Aussage verärgerte die Verteidiger*innen, und im Gerichtssaal kam es zu verbalen Auseinandersetzungen unter den Rechtsanwält*innen der Nazis.
Als der Prozess 2015 gegen 18 Abgeordnete begann, blieben 16 von ihnen der Parteiführung treu. Nach fast fünf Jahren unterstützt nur noch die Hälfte von ihnen Michaloliakos. Während des Verfahrens wurden die internen Probleme der Goldenen Morgenröte immer sichtbarer, ihr Verteidigerteam wechselte regelmäßig und wurde stetig kleiner.
Die letzte Zäsur kam mit den Parlamentswahlen im vergangenen Juli: Die Goldene Morgenröte erreichte 2,97 Prozent, knapp weniger als die erforderlichen drei Prozent, und bleibt damit dem Parlament erstmals seit 2012 fern. Als Konsequenz schließt sie ihr Hauptquartier und wird zu einer marginalen politischen Partei.
In der Hand der Richter*innen liegt es nun, ob die neonazistische Partei auch juristisch in Acht und Bann geschlagen wird. Die Gerichtsverhandlungen sollen in diesem Frühjahr beendet werden. Kurz danach wird das Urteil erwartet.
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