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Die schwedische Methode
Wie in anderen Lebensbereichen soll auch beim Coronavirus ein liberaler Ansatz helfen
Die Strategie ist dieselbe wie in Deutschland: die Verbreitung des Virus verlangsamen, um das Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Die Maßnahmen hingegen sind vergleichsweise defensiv. Dabei vertraut die schwedische Regierung auf Empfehlungen der »Folkhälsomyndighet« - der Gesundheitsbehörde und dessen Epidemiologen Anders Tegnell.
So sind aktuell Veranstaltungen mit mehr als 50 Menschen verboten. In Restaurants und Bars ist ausschließlich der Service am Tisch erlaubt, die meist üblichere Selbstbedienung oder Bedienung am Buffet untersagt. Oberschulen, Hochschulen und Universitäten werden angehalten, Fernunterricht durchzuführen, Kindergärten und Grundschulen hingegen sind geöffnet. »Es gibt keine eindeutigen wissenschaftlichen Beweise dafür, dass die Schließung von Schulen das Risiko von Infektionen in der Gesellschaft verringern würde«, heißt es mit Verweis auf einen Bericht der Weltgesundheitsorganisation WHO auf der Internetseite der Behörde.
Mittlerweile weist Schweden laut Angaben der Gesundheitsbehörde vom Sonntag eine Zahl von 3700 Infizierten und 110 Toten auf, die meisten davon in Stockholm. Der Großteil der Maßnahmen im Kampf gegen das Virus besteht jedoch auch weiterhin aus Empfehlungen. So sollen sich ältere und gesundheitlich vorbelastete Menschen isolieren und auch wer sich krank fühlt, soll zu Hause bleiben. Falls möglich, solle man im Homeoffice arbeiten und geplante Reisen, insbesondere über die Osterfeiertage, noch einmal überdenken. Die im europäischen Vergleich außergewöhnliche Politik schränkt den schwedischen Alltag und das öffentliche Leben nur wenig ein. »Unsere Einschätzung ist, dass zusätzliche Maßnahmen eher marginale Wirkung haben«, äußerte sich Tegnell im Nachrichtenprogramm »Agenda« über das fast zeitgleich verkündete Kontaktverbot in Deutschland.
Dennoch: Berichten zufolge sind Restaurants und Bars deutlich weniger besucht und diejenigen, die von zu Hause aus arbeiten können, tun dies auch. Die Regierung genießt in der Regel ein großes Vertrauen in der Bevölkerung. Empfehlungen werden schnell und strikt befolgt, Bürger und Bürgerinnen ermahnen einander. Dieser Nettoeffekt macht Verbote bisher unnötig. Zumindest was Vorschulen und Schulen angeht, beschloss das Parlament am 19. März ein Gesetz, das bei Bedarf die kurzfristige Schließung der Einrichtungen ermöglicht. Auch erklärte Ministerpräsident Stefan Löfven in seiner Rede an die Nation vor gut einer Woche, die Bevölkerung müsse auf weitere und kurzfristige Maßnahmen gefasst sein, auch solche, die den Alltag erheblich einschränken können.
Unumstritten ist der schwedische Weg nicht. In einem offenen Brief an die Regierung kritisierten Forscher vergangene Woche den offiziellen Kurs. So müsse der Kontakt zwischen Menschen stärker eingeschränkt werden und deutlich mehr auf Covid-19 getestet werden, meint unter anderem Olle Kämpe, Professor für Immunologie am Karolinska Institut in Stockholm. »Bis wir eine bessere Vorstellung von der Situation bekommen, halte ich es für eine gute Idee, Schulen, Restaurants und Unterhaltungsstätten zu schließen«, sagte er am vergangenen Donnerstag der Nachrichtenagentur TT. Mehr als 2000 Unterschriften waren auf dem Brief gesammelt, von denen bisher jedoch noch nicht alle verifiziert werden konnten.
Keinen Unterschied hingegen gibt es bei den Befürchtungen um wirtschaftliche Einbußen. Daher hat man auch in Schweden finanzielle Nothilfen für Unternehmer und Selbstständige in Milliardenhöhe beschlossen. Bezüglich der kommenden österlichen Skiurlaube dagegen sind keinerlei Beschlüsse zu erwarten. »In Skigebieten besteht im Vergleich zu anderen Landesteilen kein höheres Risiko, das Coronavirus zu verbreiten«, sagte Epidemiologe Tegnell der Zeitung »Dagens Nyheter« noch am Mittwoch. Durch die bereits bestehenden Einschränkungen sei eine Schließung der Skiresorts nicht gerechtfertigt.
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