Eigentümer profitieren vom Streit

Fehlende Einigkeit von Rot-Rot-Grün bei Sozialmieten kostet Hunderte Millionen Euro

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Begrenzung der Mieten im alten Berliner Sozialen Wohnungsbau ist ein teures Unterfangen für Rot-Rot-Grün. 337 Millionen Euro hat der Senat mit dem Doppelhaushalt 2020/2021 dafür eingeplant, damit für rund 42 500 Sozialwohnungen auch dieses und kommendes Jahr die jährliche Mieterhöhung von 13 Cent pro Quadratmeter ausgesetzt wird. »Damit werden mögliche Mieterhöhungen von zusätzlich bis zu 78 Cent pro Quadratmeter Wohnfläche monatlich vermieden«, erklärte Senatorin Katrin Lompscher (Linke) Ende März. Denn seit Jahren wird die jährliche Mieterhöhung, die sich aus der Kürzung der Förderung für die Hauseigentümer ergibt, ausgesetzt.

Die hohen Gesamtkosten werden zwar nicht nur in den nächsten beiden Jahren anfallen, sondern bis zum Auslaufen der Förderung der betroffenen Objekte. »Trotzdem ist das neuerlich aufgelegte Mietenkonzept des Senats unzureichend und teuer«, kritisiert Sebastian Jung vom Netzwerk Mieterstadt.de in einer gemeinsamen Stellungnahme mit der Kreuzberger Mieterinitiative Kotti & Co. Seit Langem beschäftigt Jung sich mit dem alten sozialen Wohnungsbau, einem für Mieter und Senat kostspieligen und schwerem Erbe des West-Berliner Baufilzes, von dem in zum Teil obszöner Weise die einstigen Bauherren und Eigentümer der Objekte profitieren. »Seit Jahren liegen Vorschläge auf dem Tisch. Ich habe keine vernünftige Erklärung, warum nichts davon umgesetzt wurde«, sagt der Aktivist.

»Das Mietenkonzept ist keine gute Lösung«, räumt auch Michail Nelken, Wohnungspolitiker der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, auf nd-Anfrage ein. »Aber es ist eine Lösung, die die Mieter vor Erhöhungen schützt«, so Nelken weiter. Er wundert sich etwas über den Zeitpunkt der Kritik, schließlich sei die Entscheidung für die weitere Verlängerung dieser Zwischenlösung bereits bei den Haushaltsberatungen im vergangenen Herbst gefallen.

»Wir wissen alle, dass es nicht sinnvoll ist, diese Mietenkonzepte weiterzuführen, weil eigentlich ein systematischer Fehler in der Regelung der Kostenmieten korrigiert werden muss«, erklärt Nelken.

Dieser Fehler liegt hauptsächlich darin, dass in die sogenannten Kostenmieten auch eine Reihe real gar nicht anfallender Positionen eingerechnet werden können, unter anderem für längst zurückgezahlte Kredite und vieles weitere. Diesen Missstand wollte die jetzige Senatorin Katrin Lompscher schon 2015 als Wohnungspolitikerin der damals oppositionellen Linksfraktion mit einer Gesetzesnovellierung beheben, genau so wie Grüne und Piraten.

»Die Koalition hat sich bisher nicht auf eine Reform verständigen können, da der vor zwei Jahren gefertigte Entwurf keine Mehrheit fand. Die Versuche, auf parlamentarischer Ebene einen Lösungskorridor zu beschreiben, sind ebenfalls gescheitert. Wir bedauern das sehr«, muss nun Wohnen-Staatssekretär Sebastian Scheel (Linke) nach knapp dreieinhalb Jahren Koalition aus SPD, Linke und Grünen auf nd-Anfrage einräumen.

»Wir können eher froh sein, dass das, was bisher so auf dem Tisch lag, nicht umgesetzt wurde«, sagt Jung. Als »völlig absurd« bezeichnet er den Umstand, dass auch bei Sozialwohnungen, für die keine Anschlussförderung gewährt wird und für diese zum Teil sehr hohen Kostenmieten verlangt werden dürfen, vom Mietendeckel ausgenommen sind. »Eigentümer, die bereits eine Förderung in Anspruch genommen haben, werden dann auch noch so bevorteilt«, kritisiert Jung. Damit lebten die Haushalte in rund 11 000 betroffenen Wohnungen finanziell gesehen auf einer tickenden Zeitbombe.

»In der Tat werden wir so schnell wie möglich einen weiteren Versuch unternehmen, die Berechnung der Kostenmieten landesrechtlich zu regeln«, kündigt Staatssekretär Scheel an. Es müsse sich zeigen, ob das auf dem Wege einer Verordnung gelingen kann, sagt Parlamentarier Michail Nelken. Diese könnte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen formulieren und müsste vom Senat beschlossen werden.

»Die Reformvorschläge für den sozialen Wohnungsbau, wie die Einführung einer neuen Berechnungsverordnung, um Vermieter bei den Kosten finanziell in die Pflicht zu nehmen, liegen seit Jahren auf dem Tisch«, sagt Grünen-Mietenpolitikerin Katrin Schmidberger »nd«. Nicht einmal der Vorschlag für die Änderung der Kostenberechnungsverordnung, die Teil eines vierstufigen Konzepts ihrer Fraktion war, sei weiter verfolgt worden, beklagt sie. »Leider hat Rot-Rot-Grün hier bisher versagt, obwohl der alte soziale Wohnungsbau ein zentraler Bestand für viele einkommensschwache Mieter und daher besonders schützenswert ist«, konstatiert Schmidberger.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.