Wachhunde ohne Biss
Kritik an BBC wegen Regierungstreue
Am Wochenende sorgte in Großbritannien ein Zeitungsartikel für Aufsehen. Ein Rechercheteam der »Sunday Times« zeichnete detailliert nach, wie sorglos die britische Regierung auf die Coronakrise reagiert hatte. Laut den Autoren, die sich auf Aussagen von Wissenschaftlern und Politikern stützen, war die Krisenbewältigung zu Beginn von Fahrlässigkeit, Verzögerungen und Schlamperei gekennzeichnet. Die Publikation schlug so hohe Wellen, dass die Regierung versuchte, die Vorwürfe auf ihrer Website schriftlich zu widerlegen.
Der Artikel und der darauffolgende Knatsch sind auch deswegen so ungewöhnlich, weil sich die britische Presse in der Coronakrise bislang eher zahm gegeben hat. Zwar werden in einzelnen Artikeln immer wieder kritische Töne angestimmt, etwa wenn es um die fehlende Schutzkleidung für Krankenpersonal geht, oder das Unvermögen, Coronatests in ausreichender Zahl zu organisieren. Aber viele etablierten Medien scheinen die Regierung nur ungern zu kritisieren. Das trifft auch auf die öffentlich-rechtliche BBC zu.
Als etwa am 11. April 980 Todesopfer innerhalb eines Tages gezählt wurden - so viele wie in keinem anderen europäischen Land - ging die Schlagzeile auf der BBC-Website gar nicht auf diese Tatsache ein; stattdessen stand dort ein banales Zitat des Gesundheitsministers. Auch die täglichen Pressekonferenzen der Regierung sind meist fad: Der Medienwissenschaftler Gary Merrill von der Universität Roehampton schreibt, dass es die führenden Journalisten, auch jene der BBC, kaum schaffen, die dringendsten Fragen zu stellen und die Regierung für ihre Verfehlungen zur Rechenschaft zu ziehen. Der ehemalige BBC-Radiomoderator John Humphrys schrieb kürzlich, dass die Journalisten seines früheren Arbeitgebers offensichtlich von ihren Chefs angewiesen wurden, die Regierungsminister nicht zu sehr unter Druck zu setzen; die BBC hat diesen Vorwurf zurückgewiesen.
Vor dem Ausbruch der Corona-Epidemie war das Verhältnis der Tory-Regierung Boris Johnsons und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf einem Tiefpunkt angelangt. Konservative Politiker haben schon länger den Sinn und Zweck des öffentlich-rechtlichen Senders hinterfragt. Johnson wollte Taten folgen lassen: Er hat angedroht, das Modell der Gebührenfinanzierung über Bord zu werfen, was im Prinzip auf eine drastische Budgetkürzung hinauslaufen würde. Die BBC müsse sich reformieren, um in der heutigen Zeit relevant zu bleiben, sagte Kulturministerin Nicky Morgan Anfang Februar.
Mit der Gesundheitskrise ist dieser Streit vorerst in den Hintergrund getreten - und die BBC hat eine neue Relevanz gefunden. Sie ist die wichtigste Informationsquelle für die Bevölkerung: Im Vergleich zu 2019 verzeichnet der Sender BBC News einen Zuschauerzuwachs von 70 Prozent; gemäß einer neueren Umfrage benutzen 82 Prozent der Bevölkerung die BBC-Website als Informationsquelle zu Covid-19. Und keine andere Medienorganisation im Land genießt ein so großes Vertrauen in der Bevölkerung.
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