»Ich bin ein notorischer Optimist«
Täve Schur widmet sich in seinem Buch »Was mir wichtig ist« den Fragen seiner Fans
Über Gustav Adolf Schur, von allen liebevoll »Täve« gerufen, muss man den meisten von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, nicht viel erzählen. Er ist, wie er selbst formulieren würde, »bekannt wie ein bunter Hund«. Für mich war er in der Kinder- und Jugendzeit ein Idol, wie wahrscheinlich für viele unserer Generation. Täve und Friedensfahrt, das waren irgendwie Synonyme. Und wir sollten vielleicht am 30. April kurz daran denken, dass er an diesem Tag vor 68 Jahren in Warschau zu seiner ersten Friedensfahrtetappe startete.
Nun hat Täve bei der Sichtung seiner zahlreichen Post festgestellt, dass er noch so viele Fragen, die ihm in Briefen gestellt wurden, unbeantwortet gelassen hat. Wie er selbst sagt, trieb es ihm darob »die Schamesröte ins Gesicht« und ihn selbst an den Schreibtisch. »Wenn ich denn schon nicht auf jede Frage individuell reagierte, so soll und muss es denn auf diese Weise, also gleichsam kollektiv geschehen. Darum noch ein Buch.« Daraus ist »Was mir wichtig ist« entstanden. Auf ihn bewegende Fragen gibt er hier Antworten, sehr persönlich, streitbar, immer ehrlich und aufrichtig, so wie wir ihn kennen. Und ich kann sagen, von den vielen Büchern, die ich in den letzten Wochen lesen musste, durfte, wollte, ist »Was mir wichtig ist« trotz der von ihm angesprochenen ernsthaften Themen und Probleme eins der amüsantesten. Wir haben nachfolgend einige seiner Fragen und Auszüge aus seinen Antworten als Leseprobe zusammengestellt.
Olaf Koppe
Täve Schur:
Was mir wichtig ist
Neues Leben, 224 S. mit Bildteil, geb., 20 €
ISBN 978-3-355-01893-7
Der Verlag stellt exklusiv für »nd« 100 von Täve signierte Bücher zur Verfügung, die über unseren nd-Shop gekauft werden können.
Online: dasND.de/taeve
E-Mail: shop@nd-online.de
Tel.: (030) 2978-1654, -1777
Soll man den Enkel zum Sporttreiben bewegen?
Ich glaube, diese Frage zielt weniger auf den gesundheitlichen Aspekt. Denn da lässt sich die Antwort in ein einziges Wort fassen: Natürlich! Es ist doch inzwischen Gemeingut, dass eine gesunde Lebensweise - zu der auch die Bewegung gehört - Voraussetzung für ein langes Leben ist. Dem wird bisweilen widersprochen, indem entweder auf Sportler, die vor der Zeit gingen, oder auf ungesunde Vorbilder verwiesen wird. Etwa auf den britischen Premier Winston Churchill, der wie ein Schlot rauchte, wie ein Loch soff und »No sports!« als sein Lebensmotto ausgab. Trotzdem wurde er neunzig. Ich glaube, er war wohl die Ausnahme, die die Regel bestätigte …
Soll man ein Haus bauen?
… Wenn ich mit einem Ja zögere, dann nicht wegen der oft gemachten Erfahrung, dass sich viele Paare trennten, sobald der meist nervenaufreibende Bau beendet war. Noch immer ist Bauen, selbst im Kapitalismus, wo doch alles im Überfluss vorhanden ist, ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang. Und wenn die Nerven und das Zusammenleben derart gelitten haben, dass die Trennung die einzig vernünftige Lösung zu sein scheint, beginnen Rückabwicklung und Gütertrennung …
Soll man von der Pike auf lernen?
Ach, die Arbeitswelt hat sich heute grundlegend gewandelt, die Zeiten sind lange vorüber, als man einen Beruf erlernte und diesen bis zum Rentenalter ausübte …
Trotz aller Digitalisierung bin ich dafür, von der Pike auf zu lernen. Umgangsformen und Um-die-Ecke-denken inklusive. Auch die sind erlernbar und wichtig …
Soll man in die Politik gehen?
Von 1959 bis zum letzten Tag seiner Existenz saß ich im Parlament der DDR. Ich war Volkskammerabgeordneter und also Politiker. So sah ich mich aber nie. Bei uns gab es nicht nur ein anderes Politikverständnis, sondern auch eine andere Politik. Politik »machte« die Volkskammer so wenig wie der Bundestag. Entscheidungen über Grundsatzfragen zum Beispiel wurden da wie dort nicht gefällt; die Eigentumsfrage etwa, die ja eine Systemfrage ist, kam und kommt nie auf die Tagesordnung. Gesetzentwürfe, wie gelegentlich ruchbar wird, schreiben mitunter die Lobbyisten der Konzerne. Es herrscht zwischen diesen und der Mehrheit im Parlament eine symbiotische Seelenverwandtschaft, was mit der Formel »freiheitlich-demokratische Grundordnung« beschrieben und fundamental für die Gesellschaft ist. An ihr wird nicht gerüttelt und geschüttelt, sie gilt für mindestens tausend Jahre. Dieser Pakt funktioniert …
Soll man »das grausame Dopingsystem der DDR« verteidigen?
Ich habe nie ein »grausames System« verteidigt und werde es auch nie tun. Ich habe meine Meinung zum Doping im Allgemeinen und auch im Besonderen, doch ein »grausames Dopingsystem der DDR« kenne ich nicht, weshalb es von mir auch nicht verteidigt werden kann. Hin und wieder werde ich in Interviews gefragt, ob ich selber gedopt habe. Die Tatsache, dass ich erstens Radfahrer und zweitens Sportler in der DDR war, macht mich in den Augen mancher Journalisten doppelt verdächtig. Ich pflege dann immer zu antworten: »Wenn ich damals gedopt hätte, wäre ich heute wohl krank.« Nun muss ich natürlich besonders darauf achten, dass ich gesund bleibe.
Soll man »Mauer, Stasi, Stacheldraht« hinnehmen?
… Die Behandlung dieser Themen erfolgt in der Öffentlichkeit meist unsachlich, weil emotional. Wo Gefühle im Schwange sind, ist der Verstand oft verabschiedet. Vor Jahren erlebte ich mal eine Talkshow mit Egon Krenz. Der versuchte rational zu begründen, warum die Mauer gebaut worden war. Das war alles logisch und der historischen Wahrheit verpflichtet, auch die Leute im Studio folgten ihm. Und dann rief plötzlich eine: »Und was ist mit Chris Gueffroy?« Sofort war die Geschichte des jungen Mannes aufgerufen, der als der letzte Mauertote gilt. Damit war die sachliche Argumentation erledigt, sie war von Emotionen verdrängt und gestorben. Und genau darin bestand und besteht das Dilemma der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Natürlich sollen wir Emotionen zulassen, wenn es um die Vergangenheit geht. Aber die Geschichte kann nicht ausschließlich aus Empfindungen und Gefühlen gedeutet werden.
Soll man sich als Ostdeutscher bekennen?
… Die Bevormundung und Vereinnahmung durch Westdeutsche bringt mich auf. Ich wehre mich dagegen, indem ich bewusst und selbstbewusst erkläre: Ich bin ein Ostdeutscher. Ich bin anders als ihr, weil ich eine Erfahrung gemacht habe, die euch fremd ist. Die ihr nicht versteht, weil ihr sie nicht verstehen wollt. Ostdeutsche sind keine besseren Menschen, aber welche mit anderen Prägungen. Mich trieb keine Diktatur in den Sattel, ich fuhr freiwillig Rennen, weil ich es wollte. Millionen zogen an den Straßenrand und in Stadien aus freien Stücken und nicht, weil ein Politbüro sie dazu zwang. Wir heirateten und setzten Kinder in die Welt aus Liebe, nicht auf der Basis von Parteibeschlüssen. Nehmt das bitte zur Kenntnis.
Soll man alt werden? Wie wird man alt?
»Man bewegt sich nicht weniger, weil man alt wird, sondern man wird alt, weil man sich weniger bewegt.« Dass ich 100 werden wolle, habe ich in Interviews und Talkshows häufig wiederholt und damit für Heiterkeit gesorgt. Aber ich habe das nicht als Witz gebracht. Damit ist es mir sehr ernst! Wer soll denn Zeugnis ablegen über die DDR, wenn nicht die Überlebenden? Ich möchte nicht, dass die Stasi-Akten und deren Deuter das letzte Wort haben …
Soll man optimistisch in die Zukunft schauen?
Aber immer! Ich bin ein notorischer Optimist, obwohl ich die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Probleme durchaus sehe. Ich ignoriere auch nicht die Bedrohungen, die sich aus der neuerlichen Hochrüstung und dem wachsenden Nationalismus ergeben. Es gibt keine Gewissheiten mehr, auf die sich Zuversicht gründet. Aber alles ist Menschenwerk: Krisen und Konflikte, Katastrophen und Kriege. Wenn diese von Menschen gemacht werden, bedeutet es auch, dass sie von Menschen überwunden oder verhindert werden können. Wir sind nicht hilflos einem Schicksal oder einer außerirdischen Macht ausgeliefert.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.