Flucht aus dem Alltag
Alles hinter sich lassen: Die Serie »Run« über einen Railroadtrip quer durch die USA
Wie fühlt sich das eigentlich an, von einem Moment auf den anderen aus seinem Leben auszubrechen, alles hinter sich zu lassen und ein Abenteuer zu beginnen? Gerade in Zeiten der Krise, in denen sich der halbe Planet in Quarantäne begibt oder sich in ein routiniertes Umfeld zurückzieht und gezwungenermaßen einigelt, ist so ein Ausbruch erst recht schwer vorstellbar. Gerade darin liegt aber der Reiz der Serie »Run« aus dem Hause HBO, die nun auf Sky zu sehen ist. Die Ausgangssituation dieses Roadmovies, das sich größtenteils in einem Zug abspielt - für die autofixierten USA eher unüblich - ist ebenso ungewöhnlich wie denkbar einfach: Ruby und Billy, ein ehemaliges College-Liebespaar, haben sich im Alter von 20 Jahren geschworen, dass wenn einer dem anderen eine Textnachricht mit dem schlichten Wort »Run« schickt, und der andere auch mit »Run« antwortet, sich einige Stunden später in der New Yorker Grand Central Station zu treffen. Die beiden wollen dann mit dem Zug in einer Woche nach Los Angeles fahren und auf der Reise sehen, ob sie dauerhaft zusammenbleiben und ihr bisheriges Leben hinter sich lassen wollen oder ob sie wieder in ihren Alltag zurückkehren wollen - soweit das dann überhaupt noch möglich ist.
Ruby und Billy sind 37 Jahre alt, als sie sich die alles verändernde Nachricht »Run« zuschicken und kurz danach im Zug treffen. Billy ist Single und erfolgreicher Motivationstrainer. Er steht auf Bühne und erzählt Menschen, wie toll ihr Leben ist und verkauft dabei jede Menge Bücher. Ruby, die Architektur studiert hat, ist zweifache Mutter und eigentlich glücklich mit einem Angestellten Marke Mustervater verheiratet. Sie sitzt gerade im Auto auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums und will noch zum Yoga, als sie die Aufforderung »Run« erhält. Sie ringt heftig mit sich, textet schließlich ebenfalls »Run« zurück und macht sich sofort auf den Weg zu ihrem Treffpunkt.
Es ist aber nicht nur der Alltag, der die beiden zur Flucht quer durchs ganze Land treibt. Das Leben der beiden ist gar nicht so großartig, wie sich im Laufe der Fahrt herausstellt. Beide haben so einige Leichen im Keller und keiner von ihnen rückt dem anderen gegenüber damit heraus. Vielmehr kämpfen die älter werdenden Mittelschichtcharaktere darum, sich nur keine Blöße zu geben. Scheibchenweise kommt während ihrer turbulenten Reise durch die USA dennoch die Wahrheit ans Licht.
Die siebenteilige Serie lebt vor allem von den beiden Schauspielern Merrit Wever und Domnhall Gleeson. Die beiden sind keineswegs glatte Schönheiten, sondern Leute mit Ecken und Kanten, die sich rotzfrech durch das Land kämpfen. Natürlich geht vieles schief, mitunter ist die ignorante Idiotie der beiden beim Versuch, sich noch eine Tür für eine Rückkehr in ihr altes Leben offenzuhalten, schlicht zum Fremdschämen. Billy wird schließlich von seiner Lebensgefährtin und Geschäftspartnerin verfolgt, während Rubys Mann dauernd anruft, am Telefon langsam durchdreht und die Kreditkarten seiner Ehefrau sperren lässt.
Die Serie »Run« ist eine Komödie, die ständig ins Tragische abrutscht und die Psychologie zweier Antihelden unserer Zeit im Ausnahmezustand zeigt. Ein Stück weit wird die eine oder andere Person trotz aller Widrigkeiten, die Ruby und Billy auf ihrer Reise erleben, neidisch auf diese - in Krisenzeiten sehr weit weg erscheinende - Geschichte einer Reise in die (vermeintliche) Freiheit schauen.
»Run«, auf Sky.
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