Das C-Wort

Von Iris Rapoport , Boston

  • Iris Rapoport
  • Lesedauer: 3 Min.

Niemand mag es mehr hören. Umso mehr Hoffnung wird darauf gesetzt, jenes Virus, das derzeit die Welt so fest im Griff hat, mit einer Impfung zu bändigen.

Schon im Dezember des letzten Jahres, bevor das Coronavirus SARS-CoV-2 begann, sich in der Welt zu verbreiten, hatte die internationale Wissenschaftlergemeinschaft mit Vorarbeiten für einen Impfstoff begonnen. Chinesische Virologen haben das Virus charakterisiert und seinen genetischen Bauplan Anfang Januar publiziert. Nur zwei Monate später wurde in den USA die erste klinische Studie gestartet. Und im Fachblatt »Nature Reviews Drug Discovery« (doi: 10.1038/d41573-020-00073-5) war Anfang April zu lesen, dass weltweit bereits an 115 potenziellen Impfstoffen gegen das Virus geforscht wird. Das gab es noch nie!

Eine Schutzimpfung gaukelt dem Immunsystem eine Infektion mit dem gefährlichen Erreger vor. Ob dieser Scheinbedrohung werden Antikörper gebildet. Mit denen kann das echte Virus im besten Falle bereits an der Eintrittspforte, den Schleimhäuten, neutralisiert werden. Doch auch im Blut sind sie wirksam. Gegen Viren, die sich im Infektionsverlauf in Zellen verschanzen, sind Antikörper jedoch machtlos. Deshalb zielen viele Impfstoffe zusätzlich darauf, sogenannte zytotoxische T-Zellen zu programmieren. Die spüren infizierte Zellen auf und vernichten sie.

Die Erbinformation des Coronavirus, die sich auf einem RNA-Einzelstrang befindet, ist von Proteinen umhüllt. Diese Virusproteine sind es, die die Grundlage für die Entwicklung eines Impfstoffes liefern. Einzelne Abschnitte der Proteine wirken als Antigene und rufen die Bildung von Antikörpern hervor.

Doch nicht jeder Antikörper garantiert zwangsläufig Schutz. Manche vermögen es nicht, den Erreger zu neutralisieren. Andere können sogar schaden, weil sie die Infektion verstärken. So gibt es gute Gründe, Wirksamkeit und Sicherheit eines neuen Impfstoffes gründlich zu prüfen!

Bei der Entwicklung von Impfstoffen gegen die Coronaviren, die Sars und Mers verursachten, wurden all diese Schwierigkeiten gemeistert. Sie haben sich in klinischen Tests als sicher und wirksam erwiesen. Dadurch existieren bereits wertvolle Erfahrungen. Jedoch wurde bisher keiner dieser Impfstoffe für die Anwendung beim Menschen zugelassen. Vielleicht, weil die Bedrohung durch diese Viren schnell wieder schwand.

Die verschiedenen Coronaviren unterscheiden sich in ihrer Erbsubstanz und folglich auch in ihren Proteinen. Deshalb erfordert ein neu auftretendes Virus zumeist auch einen neuen Impfstoff. Noch nie wurde dessen Entwicklung mit solch einem Tempo und in solcher Breite betrieben wie bei SARS-CoV-2. (Die nächste Biolumne wird mehr davon berichten.)

Trotzdem darf man sich keinen Illusionen hingeben. Eine Impfstoffentwicklung braucht Zeit. Die klinischen Prüfungen lassen sich nicht beliebig verkürzen. Bedenkt man zudem, dass auch die Arzneimittelzulassung und die erforderliche Massenproduktion Zeit erfordern, dann ist auf einen Impfstoff frühestens im Jahre 2021 zu hoffen.

Es steht außer Frage, wir werden uns darauf einrichten müssen, mit dem Virus - und mit dem C-Wort - zu leben.

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