Rettung auf Kredit

In der Krise zeigt sich die Macht des Euro - und sein Geburtsfehler

Die Corona-Pandemie wird zur schärfsten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg führen. Gegen den Abschwung stemmen sich alle Staaten der Welt mit Billionen neuer Schulden. Der Kampf gegen Corona wird dadurch zu einem Test auf die staatliche Kreditwürdigkeit: Welcher Standort kann sich seine eigene Rettung überhaupt leisten? In dieser Situation wird offenbar, was der Euro wirklich ist: Nicht bloß ein Geld, mit dem man einkaufen kann. Sondern eine mächtige Weltwährung, die zentrale Ressource der Euro-Staaten im Kampf um das Vertrauen der Finanzwelt. Dieses mächtige Instrument jedoch steht schon nächste Woche wieder auf dem Spiel.

Inzwischen werden die ersten Anzeichen der Corona-Rezession sichtbar. Im ersten Quartal 2020 sank die Wirtschaftsleistung der Euro-Zone gegenüber Vorquartal um 3,8 Prozent, meldete am Donnerstag das europäische Statistikamt Eurostat. In Frankreich schrumpfte sie um 5,8 Prozent, in Italien um 4,7 und in Deutschland voraussichtlich um 2,5 Prozent. Und für das laufende zweite Quartal wird ein noch wesentlich größeres Minus erwartet.

Wie stark das Bruttoinlandsprodukt im laufenden Jahr sinken wird, wie viele Unternehmen und Arbeitsplätze verschwinden werden und wie stark der Aufschwung 2021 ausfällt, das hängt zum einen vom Verlauf der Pandemie und den staatlichen Schutzmaßnahmen ab. Zum anderen davon, wie viele Mittel die Staaten zum Erhalt ihrer Wirtschaftsleistung mobilisieren können. Laut Planungen nehmen sie dafür derzeit Schulden in einer Höhe auf, die alle Erfahrungen aus der großen Finanzkrise ab 2008 in den Schatten stellen.

Die US-Regierung genehmigt sich dieses Jahr ein Haushaltsdefizit von rund 3700 Milliarden Dollar, das entspricht knapp 17 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung. In der Euro-Zone und in Japan ist ein Defizit von über sieben Prozent zu erwarten, Großbritannien dürfte auf acht Prozent kommen. Aber auch ärmere Länder wie Südafrika oder Brasilien haben Notprogramme aufgelegt, für die sie sich Milliarden leihen müssen. Die benötigten Mittel kommen von den Anlegern an den Finanzmärkten. Und sie sind es, die die Staatenwelt derzeit einer Prüfung ihrer Kreditwürdigkeit unterziehen.

Ergebnis dieser Prüfung ist eine klare Hierarchie: Die Mehrzahl, die armen Länder, erhalten keine Kredite zu bezahlbaren Zinsen von den Märkten mehr. Sie sind auf Unterstützung durch den Internationalen Währungsfonds angewiesen. 39 von ihnen stehen faktisch vor der Pleite, ihnen wurden vor zwei Wochen ihre bestehenden Schulden gestundet. Reichere Schwellenländer wie Südafrika, die Türkei und Brasilien dagegen erhalten zwar noch Geld von den Märkten - das wird allerdings teuer. Angesichts der steigenden Schulden stürzen ihre Währungen ab und die Zinsen für Kredite steigen.

So hat die türkische Lira seit Anfang Februar 15 Prozent gegenüber dem Dollar verloren. Der brasilianische Real wertete sogar 30 Prozent ab, und die Zinsen, zu denen sich Brasilien für zehn Jahre Geld leihen kann, stiegen von sechs auf über acht Prozent. Das gleiche in Südafrika: Der Rand hat seit Februar ein Viertel seines Wertes verloren, die Zinsen legten von 8,5 auf knapp elf Prozent zu. Sein Hilfspaket gegen die Corona-Pandemie »wird Südafrika vor nicht unerhebliche Finanzierungsprobleme stellen«, prognostiziert die Commerzbank.

Abwertende Währungen und steigende Zinsen setzen den Antikrisenmaßnahmen der Schwellenländer also enge Grenzen. Ganz anders dagegen ist die Lage in der Handvoll Länder, die die Heimatwährungen des globalen Kapitals herausgeben: Dollar, Euro, Pfund und Yen. Sie genießen das Vertrauen der Finanzmärkte, ihre vermehrten Schulden lassen weder ihre Währungen abwerten, noch führen sie zu deutlich höheren Zinsen. Im Gegenteil: Die ökonomischen Weltmächte sind sogar in der Lage, mitten in der Krise die Zinsen weiter zu senken. Und zwar, indem sie quasi als ihre eigenen Gläubiger auftreten: Die Regierungen der USA, Europas und Japans geben über Rekordsummen Anleihen aus. Diese Schuldscheine kaufen die Akteure an den Finanzmärkten ihnen ab. Gleichzeitig haben die Zentralbanken der USA, Europas und Japans billionenschwere Programme aufgelegt, mit denen sie die Anleihen ihrer Staaten erwerben. Im Endeffekt leihen sich die Staaten damit quasi selbst Geld, das die Notenbanken aus eigener Kraft schaffen. Ergebnis: Die staatlichen Schulden sammeln sich bei der jeweiligen Zentralbank »und sind damit de facto gestrichen«, erklärt die französische Bank Natixis. Spiegelbildlich dazu steigt die Menge an Euro, Dollar, Pfund und Yen in der Welt.

Solch eine Politik »können sich nur Staaten leisten, die eine anerkannte internationale Reservewährung herausgeben«, so die Natixis-Ökonomen. »Für Regierungen in Entwicklungs- und Schwellenländer dagegen ist die Situation komplett anders.« Die gleiche Politik führe dort zu »einem Vertrauensverlust der Anleger, zu Kapitalflucht und rapider Entwertung der Währung«.

Die Coronakrise zeigt also, über was für ein machtvolles Instrument die Euro-Staaten mit ihrer Währung verfügen. Auf gleicher Stufe steht nur noch der Dollar und mit Abstrichen das Geld Japans und Großbritanniens. Der Status des Euro als Weltwährung erlaubt es den Ländern der Währungsunion, ohne Abwertungsverlust und zu geringsten Zinsen Mittel gegen die Krise zu mobilisieren, obwohl ihre Schulden zum großen Teil bereits hoch sind.

Dieser Status des Euro ist jedoch permanent gefährdet. Zwar ermöglicht er eine kostengünstige Verschuldung. Gleichzeitig aber läuft innerhalb der Euro-Zone der politische Streit darum, wer die gemeinsame Währung wie stark in Anspruch nehmen darf. Die Kreditwürdigkeit eines Staates wie Italien ist einerseits durch den Euro immer gesichert und andererseits immer gefährdet durch die Forderung von Ländern wie Deutschland, Rom dürfe nicht so viele Schulden machen.

Dieser prinzipielle Vorbehalt Deutschlands liegt derzeit auch vor Gericht. Am Dienstag nächster Woche wird das Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden, ob ein Anleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB) überhaupt mit der deutschen Verfassung vereinbar ist. Damit steht das gesamte europäische Rettungsprogramm auf dem Spiel. Denn die EZB hat ihre Käufe von Schuldscheinen von Euro-Staaten in der Pandemie bereits auf 1,1 Billionen Euro erhöht. Zudem wird sie das Volumen »mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nochmals aufstocken müssen, um einen Anstieg der Zinsen in Europa zu verhindern«, so die Berenberg Bank.

Die deutschen Verfassungsrichter haben also über mehr zu entscheiden als bloß über eine Rechtsauffassung. »Sie wissen vermutlich, dass unter den gegebenen Umständen eine Einschränkung der EZB-Anleihekäufe ernsthafte Turbulenzen in der Euro-Zone zum schlechtest denkbaren Zeitpunkt auslösen würde«, erklären die Berenberg-Banker. »Richter leben nicht in einem politischen Vakuum.« Aus diese Grund erwarten sie für Dienstag kein negatives Urteil über die Anleihekäufe. »Drücken wir die Daumen.«

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -