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Anleihenkäufe »kompetenzwidrig«
Bundesverfassungsgericht verlangt Prüfung der Verhältnismäßigkeit durch EU-Zentralbank
Das Bundesverfassungsgericht hat Klagen gegen ein Programm der Europäischen Zentralbank (EZB) zum Kauf von Staatsanleihen teilweise stattgegeben. Die Beschlüsse der EZB aus dem Jahr 2015 seien »kompetenzwidrig« gefallen, urteilte der Zweite Senat des Gerichts am Dienstag in Karlsruhe.
Das Verfahren drehte sich um das »Public Sector Purchase Programme« (PSPP), in dessen Rahmen die EZB Anleihen von Eurostaaten im Umfang von gut zwei Billionen Euro am Finanzmarkt erwarb. Die Karlsruher Richter kritisieren insbesondere, dass es an »hinreichenden Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit« mangele. Die wirtschaftspolitischen Auswirkungen etwa auf den Banken- und Immobiliensektor hätten von der EZB geprüft werden müssen. Bundesregierung und Bundestag hätten daher dagegen vorgehen müssen. Karlsruhe verlangt nun von der Bundesbank, die noch auf niedrigem Niveau laufenden PSPP-Anleihenkäufe in spätestens drei Monaten zu beenden, sollte die EZB die Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht nachholen.
Den Hauptkritikpunkt der Kläger, darunter CSU-Rechtsaußen Peter Gauweiler sowie die damaligen AfD-Führer Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel, wies das Verfassungsgericht zurück. Es konnte »einen Verstoß gegen das Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung nicht feststellen«, wie es im Urteil heißt. Außerdem seien die EZB-Maßnahmen in der aktuellen Coronakrise nicht Gegenstand der Entscheidung.
Der Ex-Bundestagsabgeordnete Gauweiler sprach am Dienstag in Karlsruhe von einem »rechtsgeschichtlichen Moment«. Es sei festgestellt worden, dass »Schecks ausgestellt wurden, die nicht gedeckt waren«. Während die FDP eine Obergrenze für EZB-Programme forderte, sieht die Bundesregierung wenig direkte Folgen. Man werde sich für eine gründliche Prüfung der Staatsanleihenkäufe einsetzen, sagte Finanzstaatssekretär Jörg Kukies. »Wir gehen auch davon aus, dass die EZB das tun wird.«
Linke Politiker sehen vor allem die Finanzpolitik jetzt gefragt. Die Bundesregierung dürfe sich »nicht länger einer Fiskalpolitik verweigern, die Depression und Massenarbeitslosigkeit in Südeuropa verhindert«, sagte der Linke-Bundestagsabgeordnete Fabio De Masi. Zudem wäre es »eigentlich sogar erforderlich, der EZB wie in Großbritannien die direkte Finanzierung öffentlicher Investitionen zu ermöglichen«.
Es gibt indes einen weiteren Aspekt des Urteils: Karlsruhe setzte sich erstmals über eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hinweg. Dass dieser bei den EZB-Anleihenkäufen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sah, sei »schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar«, heißt es im Urteil. Daher erinnerte ein Sprecher der EU-Kommission am Dienstag in Brüssel an den Vorrang des Europarechts: Die Urteile des EuGH seien »für alle Mitgliedsstaaten bindend«. Seiten 4 und 11
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