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Alibihandlungen in der Asylpolitik
Organisationen fordern die Aufnahme von Geflüchteten aus den Hotspots an der EU-Grenze
Das Bündnis »Landtag beLagern« hat am Montag die Wiese vor dem Düsseldorfer Landtag mit einem Protestcamp besetzt. Die Aktivisten fordern die Evakuierung der Flüchtlingslager in Griechenland, die Öffnung der EU-Außengrenzen und bedingungslose Arbeits- und Bleiberechte. Mit dem Protestcamp will das Bündnis Politiker des Landtags unter Druck setzen. »Wenn sie nicht evakuieren, bauen wir Lager vor ihre Türen«, so Pressesprecherin Laura Koch. Die Aktivisten kritisieren eine »fortschreitende Entwertung nicht-weißer/nicht-europäischer Menschenleben« durch die »rassistische EU-Abschottungs-Politik«.
Zudem habe sich die Situation der Geflüchteten im Camp Moria auf der griechischen Insel Lesbos, in dem 20 000 Menschen leben, durch die Coronakrise verschärft. »Während Menschen außerhalb der Lager geraten wird, zu Hause zu bleiben und Abstand zu halten, werden Menschen innerhalb der Lager weiterhin dazu gezwungen, auf engstem Raum miteinander zu leben«, so Koch. Der Infektionsschutz sei nicht gewährleistet: »Die EU überlässt diese Menschen unter potenziell tödlichen Bedingungen sich selbst.«
Das Protestcamp war bei der Polizei und Stadt Düsseldorf nicht angemeldet, wurde jedoch von der Polizei als Versammlung gewertet. Die Beamten verhielten sich deeskalierend, zogen aber eine Hundertschaft hinzu. Zudem wollte die Polizei nach Angaben des Bündnisses die Personalien aller Demonstranten aufnehmen. Daraufhin entschied das Bündnis, das Camp aufzulösen.
Bislang hat die Bundesregierung 48 minderjährige Geflüchtete von den ursprünglich angekündigten 1500 nach Deutschland geholt. NRW-Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) kündigte Mitte April an: »Nordrhein-Westfalen ist auf die Aufnahme auch mehrerer Hundert vorbereitet und steht als Aufnahmeland für die zweite Evakuierung bereit.«
Auf einer gemeinsamen Online-Pressekonferenz haben auch Flüchtlingsräte der verschiedenen Bundesländer, Pro Asyl und die »Seebrücken«-Bewegung die Evakuierung von Sammelunterkünften für Geflüchtete hierzulande wie auch in den Hotspots auf den griechischen Inseln gefordert. Sie appellierten an die Bundesländer, eigene Aufnahmeprogramme aufzulegen. Eine besondere Verantwortung komme etwa Thüringen und Berlin zu, mahnte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt. Die katastrophale Lage in den »Elendslagern« an der EU-Außengrenze sei künstlich herbeigeführt worden, weil die Bundesregierung auf Abschreckung setze. Sie dringe weiter auf »Rückführung« Geflüchteter aus Griechenland in die Türkei, obwohl diese kein sicherer Drittstaat sei, monierte Burkhardt. Die Forderung Deutschlands nach einer europäischen Lösung sei ein Ablenkungsmanöver, um keine Verantwortung übernehmen zu müssen.
Tareq Alaows von der »Seebrücke« betonte: »Wir haben in Deutschland keinen Mangel an Ressourcen, um die 40 000 Menschen aus den Lagern an den EU-Außengrenzen aufzunehmen.« Die Bundesrepublik als reichstes EU-Land sei in der Pflicht, zumal sich mehr als 150 Kommunen zur Aufnahme Geflüchteter bereit erklärt hätten. Deshalb müssten die aufnahmewilligen Länder handeln.
Burkhardt kritisierte auch, dass die Bundesregierung nur zur Aufnahme unbegleiteter Minderjähriger bereit sei. Dies sei eine »reine Alibihandlung«. Der Pro-Asyl-Chef hält es für das Mindeste, dass die Bundesrepublik jene 3000 bis 4000 Personen aus den griechischen Hotspots einreisen lässt, die Angehörige in Deutschland und damit das Recht auf ein Asylverfahren hierzulande haben.
Helen Deffner vom Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt verwies auf drei Verwaltungsgerichtsurteile allein in Sachsen, denen zufolge in Sammelunterkünften für Geflüchtete die Hygieneregeln zur Verhinderung von Corona-Infektionen nicht einhaltbar sind und dass die Unterbringung dort ein unzumutbares Ansteckungsrisiko darstelle. Bis auf wenige Alibihandlungen habe es keine Reaktionen der zuständigen Behörden gegeben. Es sei höchste Zeit, dass Geflüchtete dezentral in Wohnungen oder Hotels untergebracht werden so Deffner.
Die Organisationen fordern auch Gesundheitskarten für Asylbewerber, Menschen ohne Aufenthaltsstatus und erwerbslose EU-Bürger, um ihren Zugang zum Gesundheitssystem zu sichern. Menschen in Abschiebehaft müssten entlassen werden.
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