- Politik
- Coronakrise
Wer zahlt für die Krise?
Woran man erkennen kann, ob bei der Politik gegen die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie etwas richtig gelaufen ist.
Die Corona-Pandemie kostet viel Geld. Wer zahlt für diese Krise? Die Frage wird derzeit oft gestellt. Eine Antwort ist nicht einfach. Denn zum einen ist unklar, wie hoch die Verluste ausfallen werden und was überhaupt als Kosten zählt - für Krisen werden keine Rechnungen mit festen Beträgen gestellt. Umkämpft und daher offen ist auch, ob es durch Steueränderungen zu einer Umverteilung der Lasten kommen wird. Ein Überblick.
Die Kosten
Die Kosten der Krise fallen zum einen durch die vermehrten Staatsausgaben an. Laut Finanzministerium betragen die staatlichen Corona-Nothilfen allein im laufenden Jahr 450 Milliarden Euro. Dazu kommen staatliche Kredite, Kreditgarantien und Steuererleichterungen. Die Deutsche Bank errechnet: Insgesamt mobilisiert der deutsche Staat 1900 Milliarden Euro zur Stützung der Wirtschaft, also vor allem der Unternehmen. Doch nicht die gesamte Summe wird am Ende als Kosten anfallen - staatliche Garantien für Kredite an Unternehmen zum Beispiel kosten nur Geld, wenn das Unternehmen nicht zahlen kann.
Als Kosten der Krise kann man auch den Verlust an Wirtschaftsleistung zählen. Im ersten Quartal ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland gegenüber dem Vorquartal um 2,2 Prozent gesunken, meldete am Freitag das Statistische Bundesamt. Das war der zweitstärkste Rückgang seit der Wiedervereinigung, nur im ersten Quartal 2009 war das Minus mit 4,7 Prozent noch größer. Und das zweite Quartal wird noch schlechter. Sinkt das BIP im Gesamtjahr um sechs Prozent, so betrüge der Verlust mehr als 200 Milliarden Euro. Daraus ergeben sich niedrigere Steuereinnahmen, laut Steuerschätzung fallen sie dieses Jahr rund 100 Milliarden geringer aus als gedacht - und bis 2024 sogar 315 Milliarden Euro geringer. Da der Staat gleichzeitig mehr ausgibt, könnten die Staatsschulden von derzeit 60 Prozent des BIP auf 80 oder sogar 100 Prozent steigen. Was man von all diesen Summen als Kosten der Krise ansetzt, ist von der Betrachtungsweise abhängig.
Die Geldquellen
Steuereinnahmen: Betrachtet man allein die staatlichen Ausgaben, so stellt sich die Frage, wer sie überhaupt trägt? Aufgrund progressiver Steuersätze zahlen die oberen 30 Prozent der Einkommensbezieher etwa zwei Drittel aller Steuereinnahmen, auf die Mittelschicht entfällt etwa ein Viertel, die unteren 30 Prozent erbringen knapp ein Zehntel. Die Wohlhabenden zahlen also relativ mehr. Und je stärker ihr Wohlstand nach der Krise steigt, umso höher ihr Anteil an den Steuern. Das klingt gerecht. Dabei ist allerdings zu bedenken: Die oberen 30 Prozent zahlen deswegen so viel, weil sie so wohlhabend sind und auch bleiben. Ihnen gehören rund 90 Prozent des gesamten Vermögens, das waren laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) 2017 netto - also abzüglich Schulden - rund 7400 Milliarden Euro.
Reichensteuer: Die höheren Steuersätze machen die Wohlhabenden nicht arm. Es kursieren daher Vorschläge, wie man sie stärker zur Finanzierung der Krise heranziehen könnte. Zum Beispiel über einen Zuschlag auf die Einkommens- und Körperschaftsteuer, eine Art Pandemie-Soli für Vermögende. Schließlich »wurden in den letzten Jahrzehnten vor allem diese Gesellschaftsgruppen steuerlich entlastet«, so das DIW.
Zudem könnte man bei den wohlhabenden Haushalten eine einmalige Vermögensabgabe erheben, zum Beispiel beim reichsten ein Prozent. Dies beträfe laut DIW 400 000 Haushalte, die jeweils ein Nettovermögen von mehr als 2,5 Millionen Euro haben. Für die gesamte EU rechnen die Ökonomen Emmanuel Saez und Gabriel Zucman aus: »Wenn der Kampf gegen Covid-19 zehn Prozentpunkte des BIP kostet, dann würde eine progressive Steuer auf die Vermögen des reichsten ein Prozent ausreichen, die Extraschulden innerhalb von zehn Jahren zu begleichen.«
Wirtschaftswachstum: Um die Kosten der Krise zu begleichen, kann man auch auf stärkeres Wirtschaftswachstum setzen. Die FDP fordert daher eine »wachstumsfreundliche Steuerreform«, um Unternehmen und Wohlhabenden über Steuersenkungen bessere Investitionsbedingungen zu bieten. Dadurch würden dem Staat zwar zunächst Einnahmen entgehen, langfristig aber stiege die Wirtschaftsleistung dadurch stärker. Dem gleichen Zweck sollen die von allen Seiten geforderten Investitionen dienen. Allerdings kann niemand mit Sicherheit sagen, ob diese steigenden Ausgaben - und damit Staatsschulden - sich in entsprechend steigender Wirtschaftsleistung niederschlagen werden.
Austerität: Befürchtet wird vielfach, dass die Politik den Weg der Sparsamkeit einschlägt. Um die Kosten der Krise zu begleichen und Schulden zu bedienen, würden dann Staatsausgaben gesenkt - gerade bei Löhnen und im Sozialbereich - und öffentliche Leistungen eingeschränkt. Mit einer Strategie der gesamtwirtschaftlichen Lohnzurückhaltung würde versucht, die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Standortes verbessern. Flankierend könnten Verbrauchssteuern erhöht und Kapitalsteuern gesenkt werden. Ähnliches wurde in Südeuropa im Zuge der Euro-Krise umgesetzt - und wird derzeit in Großbritannien erwogen: Laut internen Dokumenten plant dort die Regierung eine steigende Mehrwertsteuer, sinkende Rentenzahlungen und das Einfrieren der Gehälter öffentlicher Bediensteter. Das Problem der Austerität ist allerdings, dass sie das Wirtschaftswachstum schädigt. »In der Euro-Krise ab 2010 führte Sparsamkeit die Währungsunion in eine neue Krise«, urteilt die französische Bank Natixis.
Schulden stehen lassen: Einige Ökonomen schlagen vor, die staatlichen Schulden einfach zu akzeptieren. Schließlich erlauben die Niedrig- und Negativzinsen derzeit eine Verschuldung praktisch zum Nulltarif. Blieben die Zinsen dauerhaft niedrig, würden die Geldanleger einen Teil der Krisenkosten zahlen, da sie auf Einnahmen verzichten müssten und die Inflation das verliehene Geld langsam entwertet. Beim Staat wiederum, so die Hoffnung, würde auf Dauer eine steigende Wirtschaftsleistung stetig das Verhältnis von Schulden zu BIP verbessern. Das wäre allerdings »eine Wette auf die Zukunft«, so der Ökonom Jens Südekum.
Einen Schritt weiter gehen Gedankenspiele, die Europäische Zentralbank (EZB) könnte einfach die staatlichen Schuldscheine aufkaufen und stilllegen. Billionenschwere Kaufprogramme haben derzeit alle großen Zentralbanken aufgelegt. Die EZB könnte daher theoretisch größere Teile der Euro-Staatsanleihen erwerben und in 100-jährige Anleihen umwandeln. Oder in 1000-jährige, darauf käme es nicht an. Die Schulden wären verschwunden, de facto gestrichen. Das erste Problem dabei ist allerdings: Derartige Anleihekäufe der EZB sind rechtlich umstritten, wie das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts zeigt. Das zweite Problem: Zum Kauf der Anleihen schafft die Zentralbank neues Geld, und dies könnte irgendwann zu höherer Inflation führen. Inflation würde bedeuten: Unternehmen erhöhen ihre Preise, im Gegenzug wird das Leben teurer.
Wer setzt sich durch?
Die Kosten der Krise fallen bereits heute an: Unternehmen und Staat verlieren Einnahmen, Beschäftigte verlieren ihren Job oder werden auf Kurzarbeitergeld gesetzt. Ein Teil der eigentlich fälligen Verluste wird durch vermehrte Schulden kompensiert, dieser Teil der Rechnung wird also in die Zukunft verschoben. Wie es derzeit aussieht, bleibt es vorerst dabei. Zumindest in Deutschland wird darauf gehofft, dass künftiges Wirtschaftswachstum - in Kombination mit niedrigen Zinsen - die Bedienung der Schulden gewährleistet. Sollte dies nicht gelingen, beginnen die neuen Verteilungskämpfe.
Die alten Verteilungskämpfe gehen jedoch so oder so weiter. In ihnen sind die Kapitaleigner in einer relativ stärkeren Position, weil von ihrem Erfolg das Wirtschaftswachstum abhängt und damit Steuereinnahmen und Arbeitsplätze. Schon im Gefolge der letzten großen Finanzkrise »führte der dauerhafte Verlust an Wirtschaftsleistung nicht zu einem Rückgang der Unternehmensgewinne, sondern zu einem dauerhaften Rückgang der Lohnsumme auf Grund des Anstiegs der Arbeitslosigkeit«, so Natixis. Es sei daher zu befürchten, dass eine »deutliche Verschlechterung der Situation infolge der Corona-Krise zu stärkerer Lohn-Austerität führt, da die Unternehmen versuchen werden, ihre Finanzsituation und ihre Eigenkapitalrentabilität zu verbessern«.
Krisen sind andere Zeiten, aber keine grundsätzlich neuen. Die Frage »Wer zahlt und wer kassiert?« stellt sich in der Krise zwar verschärft. Doch die Maßstäbe sind die gleichen wie zuvor: Wie groß ist die Wirtschaftsleistung, wer erwirtschaftet sie und wer erhält welchen Anteil? Wer hat seinen Job verloren, wie viele Arme gibt es, bei wem ist der Arbeitsstress gestiegen und wie entwickelt sich die Ungleichheit bei Vermögen und Einkommen? Wenn nach der Krise die Ungleichheit oder die Armutsquote gesunken oder die Lohnquoten gestiegen sind, dann ist etwas richtig gelaufen. Wenn nicht, dann nicht.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.