»Das Gesetz ist kein Meilenstein, sondern ein kleiner Kiesel«

Italiens Migrationsbeauftragter Stefano Galieni über zeitlich beschränkte Aufenthaltsbewilligungen für illegale Landarbeiter und Haushaltshilfen

  • Anna Maldini
  • Lesedauer: 4 Min.

Die italienische Landwirtschaftsministerin Teresa Bellanova, die selbst einmal Landarbeiterin war, hat vor Rührung geweint, als sie das neue Gesetz vorstellte, mit dem jetzt Menschen »legalisiert« werden sollen, die ohne Papiere sind und schwarzarbeiten. Für sie sei dies ein Meilenstein, damit »Unsichtbare etwas sichtbarer« werden. Sehen Sie das auch so?

Ich freue mich für jeden Menschen, der sich aus dem Joch der Schwarzarbeit befreien kann, der weniger erpressbar wird und unter menschenwürdigeren Bedingungen arbeiten kann. Aber nein: Ein Meilenstein ist dieses neue Gesetz sicherlich nicht. Höchsten ein ganz kleiner Kiesel, der aber sehr viele Arbeitnehmer weiter im Dunklen lässt.

Stefano Galieni

Stefano Galieni ist Migrationsbeauftragter von Rifondazione Comunista und der Europäischen Linken. Über den Beschluss zu Aufenthaltspapieren für illegale Landarbeiter sprach mit ihm für das »nd« Anna Maldini.

Foto: Sante Farricella

Was sieht dieses Gesetz denn genau vor?

Hier haben wir schon das erste Problem. Es ist so kompliziert und enthält so viele bürokratische Hindernisse, dass es der Willkür enormen Raum lässt. Verschiedene Organisationen haben geschätzt, dass es in Italien zwischen 600 000 und 700 000 »Illegale« gibt, die ohne gültige Papiere arbeiten. Die Hauptbetätigungsfelder dieser Menschen sind die Landwirtschaft, das Fischereiwesen und die Viehzucht, aber auch die Hausarbeit und die häusliche Pflege. Und dann gibt es noch den Tourismus- und den Gastronomiesektor, wo diese Personen vor allem als Tellerwäscher, Küchenhilfen, aber auch als Zimmermädchen und Reinigungskräfte arbeiten. Wie gesagt: ein enormes Heer Rechtloser. Erste Berechnungen besagen, dass durch die neue Gesetzgebung aber nur etwa 100 000 bis 150 000 »sichtbar« werden.

Welche Voraussetzungen sind denn notwendig?

Eigentlich muss der Unternehmer die »Legalisierung« beantragen. Oder man muss beweisen, dass man 2019 bereits in Italien gearbeitet hat. Aber wie will man das denn beweisen? Meinen Sie, dass der Mann, für den Sie für einen Hungerlohn Orangen oder Tomaten geerntet haben, das jetzt bestätigt und damit auch zugibt, dass er Gesetze gebrochen hat, weil er Schwarzarbeiter beschäftigt hat? Dazu kommt, dass diese Arbeitserlaubnis, die jetzt ausgestellt werden sollte, nur für sechs Monate gilt - also, um es klar zu sagen, bis die nächste Ernte eingefahren wurde. Und noch was: Den Arbeiter kostet das 160 Euro! Und das ist für Menschen, die drei Euro pro Stunde verdienen, sehr viel Geld!

Spielt bei all dem die Corona-Pandemie eine Rolle?

Natürlich! Hätte es keine Einreisebeschränkungen gegeben, hätte auch niemand an diese Teil-Legalisierung gedacht. Es ist ganz offensichtlich, dass dieses Gesetz in erster Linie - ich würde sagen, fast ausschließlich - den Interessen der Unternehmer und nicht denen der Arbeiter entspricht. Und es entspricht auch nicht den gesundheitlichen Interessen Italiens!

Inwiefern?

Bisher hat es nur wenige Infektionsherde in den Barackenlagern gegeben, in denen die meisten Landarbeiter untergebracht sind, was vor allem daran liegt, dass diese Menschen meist jung und kräftig sind. Aber was passiert, wenn das doch geschehen sollte? Die »Legalisierten« haben dann Anrecht auf einen Hausarzt - aber die weiterhin »Illegalen« nicht. Die können zwar schlimmstenfalls in die Notaufnahmen der Krankenhäuser gehen, die jeden aufnehmen und behandeln müssen - aber das soll man bei Corona ja gerade nicht machen, weil man dort andere Patienten anstecken könnte ... Hinzu kommt, dass man sich auf den Feldern, bei der häuslichen Pflege, aber zum Beispiel auch in Hotelküchen kaum an die vorgeschriebenen Sicherheitsregeln halten kann. Feldarbeit mit Atemmaske ist bei 40 Grad im Schatten kaum möglich. Und sich permanent die Hände waschen geht erst recht nicht. Und wie soll man in den Wellblechbaracken, in denen viele Landarbeiter untergebracht sind, Sicherheitsabstände einhalten?

Was fordert denn »Rifondazione Comunista - Europäische Linke«?

Wir verlangen, dass alle Arbeitnehmer eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis erhalten und dann ein Jahr Zeit bekommen, um sich einen Arbeitsplatz zu suchen. Das wäre nicht nur menschenwürdig, es würde auch heißen, dass diese Menschen nicht mehr so erpressbar wären, wie sie es heute sind. Und es wäre auch eine wichtige Maßnahme zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, die Menschen ohne Papiere seit jeher als Handlanger missbraucht.
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