Zange, Hammer, Strick und Nagel
Vom Eigenleben der Dinge: Kunstsammlung Gera stellt Werke des niederländischen Magischen Realismus aus
Spannungsvoll ist die Stimmung der Landschaften des in Amsterdam geborenen Carel Willink. Etwa das Gemälde »Schloss in Spanien«: Letzte Sonnenstrahlen beleuchten Gebäude der Hochkultur, die als Ruinen aus menschenleerer Szenerie herausragen. Die einzige Figur ist ein in Stein gehauener junger Gott, der unter einer bedrohlichen Wolkenformation auf einer Terrasse hoch über dem Meer steht. In klassischer Pose breitet er sich aus. Willink, der vor seiner Hinwendung zum Realismus Mitglied in der expressionistischen Novembergruppe war, der in Berlin von Paul Klee beeinflusst wurde und dadaistische Collagen schuf, spielt gern mit Zitaten der Kunst- und Kulturgeschichte. Mit zunehmendem Einfluss der Nationalsozialisten verdüstert sich seine Palette. Auf dem Bild »Die Hiobsbotschaft« zieht ein Unwetter herauf. Zwei Menschen, die für die Geschichte, die erzählt wird, wichtig sind, machen die Leere greifbar, die auf der Straße zu spüren ist. Sie agieren unter großen Bäumen, aus denen alles Lebendige gewichen ist.
Willink gehört zu den wichtigsten Vertretern des »Magischen Realismus« in den Niederlanden. Dabei handelt es sich nicht um eine feste Gruppe. Jeder Künstler kam von einem ganz persönlichen Standpunkt zur realistischen Malerei und entwickelte eine eigene Handschrift. Die Sammlung des Museums in Arnhem verdankt ihr Zustandekommen einem Glücksfall. Der in Arnhem ausgebildete Künstler Johan Mekkink arbeitete fast 20 Jahre für das städtische Museum. Dort hatte er Gelegenheit, wichtige Arbeiten seiner Kollegen anzukaufen und damit einen einmaligen Bestand zu begründen. Nahezu alle repräsentativen Gemälde dieser Sammlung sind nun in der Kunstsammlung in Gera versammelt.
Eine Schüssel mit Früchten, daneben weiße Blätter aus einem Notizbuch, ein Cello und eine Flasche Wein: Kein ungewöhnliches Arrangement für ein Stillleben. Doch die Perspektive der unter dem Sammelbegriff »Magische Realisten« eingeordneten Maler ist das Besondere. Von oben schaut der Betrachter auf die Auswahl von Gegenständen und Früchten, die Raoul Hynckes in warmen Tönen, sein Malerkollege Dirk Ket in starkem Hell-Dunkel-Kontrast darstellt. Das Stillleben hat in den Niederlanden eine lange Tradition. Zu Beginn des 17. Jahrhundert entwickelte sich das Malen toter Gegenstände - natura morta - zu einer eigenen Gattung. Schon Altmeister Pieter Claesz (1597-1661) arrangierte Gemüse, Schalentiere, Pasteten und glänzende Gefäße mit Musikinstrumenten. Die Opulenz, die vollen Tische sind bei den in Gera gezeigten Stillleben seiner Nachfahren auf wenige Dinge reduziert. Sie tragen den Kubismus, vor allem in den 1920er Jahren, noch in sich. Die Sujets ändern sich zu Beginn der 1930er Jahre. Raoul Hynckes malt tote Tauben und abgestorbene Bäume. Auf seinem Stillleben »Zwei Schädel« werden vor düsterem Hintergrund mit kahlen Bäumen zwei menschliche Schädel auf Mauernischen präsentiert. Beide haben keinen Unterkiefer mehr, teilweise sind die Zähne herausgebrochen. Darüber sind Folterwerkzeuge zu sehen: Zange, Hammer, Strick und ein großer Nagel.
Künstler wie Carel Willink haben aus der Abstraktion wieder zur realistischen Malerei gefunden. Pyke Koch, ein Jurist, der durch Willinks Gemälde angeregt wurde, selbst mit dem Malen zu beginnen, wandte sich mit surrealistischer Bildsprache Themenfeldern wie der Großstadt, dem Leben in den Armenvierteln und dem Varieté zu. Ihn beeinflussten auch deutsche Realisten wie der in Gera geborene Otto Dix. »Frauen auf der Straße« ist ein beredtes Beispiel dafür. Nach Gera eingeladen wurde auch die junge Arnhemer Künstlerin Louise te Poele. Mit ihren gewaltigen fotografischen Stillleben reagiert sie auf die großen Stilllebenmaler des 17. Jahrhunderts. Doch sie stellt gewohnte Sichtweisen infrage. Die Welt der Dinge bekommt ein Eigenleben, historische Zitate werden mit modernen Accessoires gemischt. Geschichte und Geschichten in einem Werk.
»Wundersam wirklich. Magischer Realismus aus den Niederlanden«, bis 30. August, Kunstsammlung Gera, Orangerieplatz 1
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