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Wie schlimm trifft es den Arbeitsmarkt?
Infolge der Corona-Politik schrumpfte die deutsche Wirtschaft stärker als durch die Finanzkrise - die Arbeitslosigkeit steigt bereits spürbar
Bislang wurden Branchen wie Einzelhandel, Gastronomie oder Kultur wirtschaftlich kaum beachtet. Dabei arbeiten dort fast sieben Millionen Menschen, meist für ein Einkommen weit unter dem Durchschnittsverdienst. Durch Corona verschärfen sich nun Probleme, die schon lange bestanden, schreibt die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik: Insolvenzen und Entlassungen drohen, wenn die Kaufkraft nach dem Abflauen der Pandemie fehlen wird. Die linken Ökonomen erwarten auch, dass sich der Verdrängungswettbewerb verschärft. Folgen sind weitere Firmenpleiten sowie mehr schlecht bezahlte, instabile Arbeitsverhältnisse. Im Ergebnis gehe Vielfalt verloren, teils sei auch die flächendeckende Versorgung gefährdet. Sollte beispielsweise Karstadt-Kaufhof tatsächlich 80 Filialen schließen, droht vielen Innenstädten ein Kahlschlag.
Schon vor dem Ausbruch der Pandemie befand sich der deutsche Arbeitsmarkt in einer Phase sinkender Zuwachsraten, er erschien aber vergleichsweise stabil. Zu den ersten Reaktionen der Betriebe auf Corona zählten der Verzicht auf Neueinstellungen und Entlassungen während der Probezeit. Bis Ende April hatten bereits 751 000 Unternehmen vorsorglich Kurzarbeit angemeldet. Für April rechnet die Bundesagentur für Arbeit (BA) mit sechs Millionen Kurzarbeitern. Die Rücklage in Höhe von 26 Milliarden Euro werde zur Finanzierung voraussichtlich nicht ausreichen, so der BA-Vorstandsvorsitzende Detlef Scheele. Der bisherige Rekord lag im Mai 2009 während der Weltwirtschaftskrise bei 1,44 Millionen Kurzarbeitern in Deutschland.
Doch wird dies ein langfristiges Problem mit einer deutlich höheren Arbeitslosigkeit? Im Mai ist die Zahl der Arbeitslosen im Vergleich zum Vormonat um weitere 169 000 auf 2,813 Millionen gestiegen, wie die Bundesagentur am Mittwoch mitteilte. Die Arbeitslosenquote kletterte um 0,3 Punkte auf 6,1 Prozent. Die aktuelle Entwicklung ist aber schlimmer, als diese Zahl ausdrückt, denn normalerweise gibt es in diesen Monaten die Frühjahrsbelebung mit sinkender Arbeitslosigkeit.
Aussagekräftiger ist der Jahresvergleich: Seit Mai 2019 ging die Zahl um 577 000 Personen nach oben. Dabei trifft der Anstieg prozentual am stärksten die reichen Südländer, während er im Osten mit Ausnahme Berlins relativ gering ausfällt; allerdings war die Arbeitslosigkeit dort bereits vor Corona hoch. Trotz der umfangreichen Maßnahmen der Regierungen zur Beschäftigungssicherung rechnen die Volkswirte der Deutschen Bank in diesem Jahr mit über drei Millionen Arbeitslosen. Womit auch die Erwerbslosigkeit deutlich stärker zulegen würde als 2009.
Ein weiterer Unterschied: Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit treffen andere Bereiche. Während seinerzeit aus dem verarbeitenden Gewerbe (einschließlich Autoproduktion) drei Viertel der Kurzarbeitsmeldungen kamen, beträgt dieser Anteil jetzt ein Viertel. In den vergangenen beiden Monaten wurden dafür im Gastgewerbe mehr als 90 Prozent der Beschäftigten und im Bereich Kunst/Unterhaltung, zu dem die weiterhin verbotenen Großveranstaltungen gehören, fast 70 Prozent der abhängig Beschäftigten für Kurzarbeit angemeldet. Geht man davon aus, dass die Anmeldungen im Groß- und Einzelhandel in erster Linie aus dem Nicht-Lebensmittel-Bereich stammen, ergibt sich dort ein ähnlich hoher Anteil.
Ähnlich sieht es laut BA bei den Arbeitslosenzahlen aus: Mit 33 000 neuen Arbeitslosen liegt das Gastgewerbe weit vorne, gefolgt vom Handel mit 20 000. Dagegen sind die klassischen Industriebranchen, der Sozialbereich, die Leiharbeit und die Finanzsektoren kaum betroffen. Jugendliche könnte die Coronakrise ebenfalls hart treffen, denn die Betriebe haben bisher rund 45 000 neue Lehrstellen weniger angeboten als zum gleichen Zeitpunkt 2019. Und die Chancen, aus der Arbeitslosigkeit herauszukommen, sind derzeit äußerst gering. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist allein im Mai um vier Prozent gestiegen.
»Eine Rückkehr der Massenarbeitslosigkeit ist dennoch nicht zu erwarten«, vermutet Commerzbank-Chefökonom Jörg Kremer. Immerhin gebe es weiter einen Mangel an Fachkräften. Selbst in derzeit besonders stark getroffenen Sektoren würden die Unternehmen versuchen, ihre Mitarbeiter zu halten. Sonst riskiere man, beim nächsten Aufschwung womöglich vergeblich nach qualifizierten Arbeitskräften zu suchen.
Heißt das im Umkehrschluss, dass wieder einmal die gering Qualifizierten besonders hart von der Krise getroffen werden? Arbeitsmarktexperten weisen darauf hin, dass die staatlichen Auflagen etwa für Hygiene einen eher größeren Arbeitseinsatz erfordern werden. Das könnte auch weniger qualifizierten Beschäftigten nützen. Und dann gibt es auch noch einen ganz langfristigen Trend: Angesichts des demografischen Wandels wird die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte tendenziell abnehmen, was gegen einen dauerhaft starken Anstieg der Arbeitslosigkeit spricht.
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