Innenministerium war gegen »Flügel«-Nennung

Gestiegene Anzahl von 32.000 Rechtsextremisten im Verfassungsschutzbericht geht auf Einstufung von AfD-Organisationen zurück

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Obwohl die geplante Vorstellung des aktuellen Verfassungsschutzberichtes für das Jahr 2019 am Dienstag kurzfristig abgesagt wurde, sind die wichtigsten Zahlen schon seit Montag bekannt. Demnach ordnet das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) mehr als 32.000 Menschen dem »rechtsextremistischen Personenpotenzial« zu, ein deutlicher Anstieg gegenüber 2018, als die Behörde noch 24.100 Rechtsextremisten zählte.

Wesentlich für den Zuwachs verantwortlich: Der Inlandsgeheimdienst stuft rund 7000 Anhänger des völkisch-nationalistischen und inzwischen formal aufgelösten AfD-»Flügels« als rechtsextrem ein. Hinzukommen 1600 Mitglieder der Parteijugendorganisation »Junge Alternative« (JA). Dass der »Flügel« wie auch die JA im aktuellen Bericht Erwähnung finden würden, war spätestens seit Ende letzten Jahres absehbar. Damals hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz beide Organisationen zunächst zum »Verdachtsfall« erklärt, im Frühjahr erfolgte die Einstufung des »Flügels« als »erwiesen extremistische Bestrebung«. Der Status der Parteijugend ist dagegen unverändert.

Offenbar hatte ausgerechnet das Bundesinnenministerium versucht, die Erwähnung beider AfD-Organisationen im neuen Verfassungsschutzbericht zu verhindern, wie das »Redaktionsnetzwerk Deutschland« am Dienstag berichtete. Demnach soll das Ministerium von Horst Seehofer (CSU) in einem Schreiben vom 4. November 2019 an das BfV darauf gedrängt haben, »JA« und »Flügel« kein Kapitel unter dem Stichwort »Verdachtsfälle« zu widmen, sondern die zwei Vereinigungen nur zu erwähnen, wenn sie bis zur Veröffentlichung des neuen Berichtes als »gesichert rechtsextrem« eingestuft würden. Auf den »Flügel« trifft dies seit März zu, auf die JA allerdings nicht.

Der Verfassungsschutz kam laut Medienbericht in seiner Antwort an das Innenministerium vom 10. Dezember allerdings zu einem anderen Schluss. Der Inlandsgeheimdienst widersprach dem Seehofer-Ministerium und warb für eine definitive Nennung. Die Begründung lässt aufhorchen. Demnach würde es auf »Unverständnis bei Politik, Medien und Öffentlichkeit stoßen«, würden »JA« und »Flügel« nicht erwähnt. Dafür würde auch die öffentliche Resonanz sprechen, die allein durch die Einstufung des »Flügels« zum Verdachtsfall erzeugt wurde.

Hat das BfV also den »Flügel« und die »JA« vor allem erwähnt, weil es in Politik und der Öffentlichkeit auf Interesse stieß? AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla interpretiert den Medienbericht in diesem Sinne. Dem Verfassungsschutz sei der Beifall »wichtiger als das geltende Recht«, empörte sich Chrupalla am Dienstag.

Dass die Erklärung des Vorsitzenden vor allem eine Nebelkerze zur Ablenkung ist, um die Partei als politisches Opfer darzustellen, belegen jedoch die erfolglosen Eilklagen der Rechtsaußenpartei gegen das Innenministerium vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin am vergangenen Freitag. Die AfD hatte versucht, die Nennung von JA und »Flügel« im neuen Verfassungsschutz zu verhindern. Der erwähnte Schriftwechsel zwischen Ministerium und BfV war Teil der Klagen, das Gericht stufte die Bedeutung allerdings als gering ein.

Die Nennung im Verfassungsschutzbericht erfolge auf »Grundlage der fachlichen Beurteilung des Bundesamtes für Verfassungsschutz«. Die Berichterstattung verfolge einen »legitimen Zweck, nämlich dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.« Zur Begründung der Entscheidung hatte das Gericht zudem erklärt, der Erwähnung im Verfassungsschutzbericht stehe weder das Parteienprivileg entgegen, noch könne sich die AfD darauf berufen, dass sich aus erlaubten Meinungsäußerungen keine verfassungsfeindliche Zielrichtung ergeben könne. Diese Sichtweise widerspreche dem Zweck des Verfassungsschutzberichts als Frühwarnsystem der Demokratie.

Experten teilen die Sichtweise im Urteil, als auch des BfV. »Es hätte zu Recht ein großes Unverständnis gegeben, wenn die Partei nicht endlich als rechtsextremer Verdachtsfall genannt worden wäre!«, erklärte Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, am Dienstag auf Twitter. Auch bei Grünen und Linken stieß das Vorgehen des Bundesinnenministeriums auf deutlich Verwunderung. In Anlehnung an ein Zitat Seehofers erklärte der Bundestagsabgeordnete Matthias Höhn (Linke): »Wer in der Migration die Mutter aller Probleme sieht, hat natürlich was dagegen, dass die AfD im Verfassungsschutzbericht auftaucht.«

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