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Lobbyisten den Mittelfinger zeigen
Klimaaktivisten gründen Partei und wollen mehr Idealismus in die Politik bringen, zunächst in Berlin
Was halten Sie vom aktuellen Konjunkturpaket der Regierung?
Es zeigt, dass die schwarz-rote Koalition an kopflosem Wirtschaftswachstum und veralteter Industriepolitik festhält, trotz einiger guter Impulse. Sie verpasst die Chance, Deutschland auf einen klimagerechten Pfad zu führen, der mit Wachstums- und Konsumzwang bricht. Lieber rettet man den Lufthansa-Konzern, ohne dies an Auflagen beim Klimaschutz zu binden. Das ist eine Politik des vergangenen Jahrhunderts.
Antonio Rohrßen ist einer der Initiator*innen und Sprecher der Gruppe radikal:klima. Zuletzt engagierte er sich in der Initiative Klimanotstand Berlin. Deren Aktive glauben, dass etablierte Parteien die Klimakrise nicht lösen können. Sie wollen deshalb selbst eine Partei gründen, die zunächst zur Abgeordnetenhauswahl in Berlin antreten will. Mit ihm sprach Sebastian Bähr.
Wie müsste denn eine Klimapolitik des 21. Jahrhunderts aussehen?
radikal:klima will Berlin klimapositiv machen. Also die Treibhausgasemissionen schnell reduzieren und so dazu beitragen, dass sich die Erde um nicht mehr als 1,5 Grad gegenüber dem Anfang des 20. Jahrhunderts erhitzt. Die Wissenschaft sagt, wir haben nur noch zehn Jahre, um dieses Ziel noch zu erreichen. Ein Scheitern wäre katastrophal, weil die Erhitzung dann außer Kontrolle geraten würde.
Warum soll es Ihre Partei nur in Berlin geben?
Die Metropole eignet sich bestens, um zu zeigen, wie viel höher die Lebensqualität in einer klimapositiven Stadt ist. Stellt euch vor, wir vertreiben innerhalb weniger Jahre alle Abgase aus der Stadt und investieren ein Vielfaches in den ÖPNV. Was das an Luftqualität und Lärmreduktion bringt! Wir nehmen die Klimakrise zum Anlass, uns die Stadt zurückzuerobern von der hirnrissigen Stadtplanung des letzten Jahrhunderts mit ihren Massen an Beton und motorisiertem Individualverkehr. Klimapolitik wird im Lokalen sehr greifbar, deshalb wählen wir diese Ebene. Gleichzeitig sind wir mit vielen Engagierten in anderen Städten im Kontakt, die radikal:klima auch bei sich wollen. Es ist also nicht auszuschließen, dass es uns bald auch an anderen Orten gibt.
Wie kann nachhaltiges Wirtschaften konkret aussehen?
Der zerstörerische Wachstumszwang muss überwunden werden. Wir glauben, dass durch einen Mix aus radikaler Transparenz, Bürger*innenbeteiligung und klaren gesetzlichen Vorgaben eine sozialere Stadtgesellschaft entstehen kann, die die planetaren Grenzen berücksichtigt. Das kann durch eine Umstellung auf 100 Prozent erneuerbare Energie, auch beim Heizen und im Verkehr, gelingen.
Ihre Partei will diese Ziele erreichen, indem sie mehr »Idealismus« ins Abgeordnetenhaus bringt. Wird das gegen den Einfluss der Kohle- und Autoindustrielobby helfen?
Wenn Politiker*innen sagen, sie verstünden, wie dramatisch die Lage ist, aber nicht handeln, weil ihre Parteien keine Stimmen verlieren wollen, ist das eine moralische Bankrotterklärung. Die Klimakrise wird Hunderten Millionen Menschen ihre Existenzen zerstören und sie in die Flucht treiben - mehrheitlich im globalen Süden, aber auch hier bei uns. Wenn es idealistisch ist, diese Katastrophe vermeiden zu wollen, dann braucht es offensichtlich neue, idealistische Politiker*innen in den Parlamenten. Die zeigen den unverschämten Lobbyist*innen dann den Mittelfinger.
Ist die Gründung von radikal:klima eine Reaktion auf fehlenden konkreten Erfolg der Klimabewegung?
Die Klimabewegung ist jedes Mal erfolgreich, wenn ein weiterer Mensch aufgerüttelt wird und erkennt, auf welche Katastrophe wir zusteuern. Wir finden in bestehenden Parteien aber nicht die Dynamik, die für konsequente Klimapolitik nötig ist. Wir wollen da vermitteln. Die Klimabewegung muss im Parlament gehört werden. Sie muss aber auch besser verstehen, wie Politik in unserer Demokratie funktioniert. Dabei werden wir helfen. Die Bewegung selbst wird aber überparteilich bleiben.
Teile der Klimabewegung wollen eher zivilen Ungehorsam als Parlamentarismus. Droht eine Spaltung?
Wir werden die Bewegung nicht spalten. Im Gegenteil: Wir geben ihr ein weiteres Instrument an die Hand, um direkt Einfluss auf Politik zu nehmen. Und wir rufen alle Berliner*innen ausdrücklich auf, sich »Ende Gelände« und anderen Gruppen anzuschließen. Die Bewegung braucht den Protest auf der Straße und in den Kohlegruben genauso wie Aktivitäten in Parlamenten.
Dennoch: Schwächt man das Mitte-links-Lager durch die Neugründung nicht eher?
Geschwächt ist das Lager der wissenschaftlich fundierten Klimapolitik. Wir sehen außerdem bei allen Parteien inklusive Linken und Grünen, dass soziale Fragen und Klimaschutz gegeneinander ausgespielt werden. Das wollen wir anders machen.
Was sind die nächsten Schritte bei radikal:klima?
Wir bereiten unseren Gründungsparteitag vor, der im Sommer stattfindet, und arbeiten an einem Klimaplan für Berlin.
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